Dokument 
Die Groß-Industrie Oesterreichs : Festgabe zum glorreichen fünfzigjährigen Regierungs-Jubiläum seiner Majestät des Kaisers Franz Josef I. dargebracht von den Industriellen Österreichs 1898 ; Vierter Band
Entstehung
Seite
354
Einzelbild herunterladen

der Orient in so reichem Maasse ihn überschüttete, der als ein nie versiegendes Vorbild, als eine unerschöpfliche Quelle von Schönheit den neuen Erzeugnissen als Vorbild dient. Den berühmten Jagdteppich aus dem Besitze des Aller­höchsten Kaiserhauses in Wien, die wunderbaren Teppiche des Fürsten Liechtenstein, die Schätze des South-Kensington- Museums in London, des Handelsmuseums und des Oesterreichischen Museums in Wien, des Museums in Budapest, des Xordböhmischen Gewerbemuseums in Reichenberg, alle die in diesem Museum geborgenen reichen Schätze aus dem ewigen und unerschöpflichen Jungbrunnen der orientalischen Kunst, weiss sich die Firma mit scharfem Blicke und künstlerischem Verständnisse dienstbar zu machen.

Teppiche im Geschmack Louis XIV., Louis XV. und Louis XVI. bilden in vorsichtiger Aneinanderreihung der ungemein zarten Farbeneffecte Hauptstücke der Ginzkeyschen Manufactur und werfen dem auffallenden Licht strahlenden Glanz entgegen. Den Forderungen der modernen Kunst verstehen die Zeichen-Ateliers in einer Weise gerecht zu werden, welche der Manufactur auch in dieser Hinsicht die führende Rolle in Oesterreich verschafft hat. Die köstlichen Blumengebilde ihrer Teppiche lassen die heute leider aus der Uebung gekommene schöne Sitte des Mittelalters, bei festlichen Anlässen den Boden mit Blumen zu bestreuen, nicht schmerzlich vermissen. Was im Mittelalter Binsen, Gras und Blumen für den Estrich der oft kalten Wohnung waren, das sind heute die Teppiche

Teppich-Knüpferei.

lW

'-W-V

mm

JBEs3l

für den Holzfussboden des gegen früher behaglicheren Wohnraumes. Auch hierin drückt sich der Fortschritt in der Wohnlichkeit, wie er sich für die moderne Wohnung fortschreitend feststellen lässt, gegenüber der freilich noch mit manchen technischen und baulichen Unzuträglichkeiten kämpfenden Wohnung des Mittelalters aus. Man darf sagen, dass sich dieser Fortschritt zuverlässig an dem Aufschwünge der gesammten Teppich-Industrie messen lässt und an der Verbreitung, die sie über das ganze Abendland gewonnen hat, und wenn es irgendwo im Abendlande unter­nommen worden ist, die künstlerische Ueberlieferung des Orients im Geiste ihres Heimatslandes fortzupflanzen, wenn es gelungen ist, den Teppich, suche er seine Vorbilder nun im Orient, oder schöpfe er seine Form aus dem 18. Jahr­hundert, oder unterwerfe er sich endlich den Forderungen der neuen Kunst unserer Tage, zu dem Range eines Kunstwerkes zu erheben, so darf auf die erfolgreiche Thätigkeit des Hauses Ginzkey hingewiesen werden, das nun­mehr ein halbes Jahrhundert und ein Lustrum besteht und in diesem verhältnismässig kurzen Zeiträume schnell zu grosser Blüthe geschritten ist.

Der überzeugende Beleg hiefür sind die Wohlfahrtseinrichtungen der Fabrik. Ihre vollkommene Ausgestaltung für den Arbeitnehmer schafft zwischen diesem und dem Arbeitgeber jenes harmonische Verhältnis, welches allein im Stande ist, einen grossen industriellen Betrieb vor socialen Erschütterungen zu bewahren. Von den gesetzlich vor­geschriebenen Versicherungen gegen Unfall und Krankheit leistet die Betriebs-Krankencasse ungefähr das Doppelte der gesetzlichen Vorschrift. Daneben besteht eine von der Firma freiwillig gegründete \ ersicherung gegen Krankheit

354