Bevor wir das 17. Jahrhundert verlassen, haben wir noch zwei Persönlichkeiten zu nennen, die mit der Geschichte der Glasdecoration Böhmens am innigsten Zusammenhängen. Im Süden, im Böhmer­walde, ist Michael Müller anzuführen, der nicht nur das Kreideglas, sondern auch das wichtige Rubin­glas in Böhmen eingebürgert hat. Man wird wohl kaum irregehen, wenn man annimmt, dass der kur- brandenburgische Agent Bläsendorf, der 16661668 auf Informationsreisen geschickt wurde, das Rubinglasgeheimnis des herumziehenden Apothekers Kunckel, das damals bereits über das Stadium des Experimentes gediehen sein dürfte, nach Winterberg brachte, um dieses gegen die dortigen werthvollen Erfahrungen einzutauschen. Ungleich wichtiger ist im Norden Böhmens Georg Franz Kreybich aus Steinschönau, der als wandernder Glasschneider seine Laufbahn beginnt, mit der Zeit aber durch staunens- werthe kaufmännische Energie der Begründer des böhmischen Glaswelthandels wird. Zunächst mit dem Schubkarren, später mit dem Wagen durchquert er wiederholt Europa von London bis Constantinopel, von Moskau bis Rom, wobei auch speciell von Hamburg aus die werthvollen spanischen Handelsbezie­hungen angeknüpft wurden.

Erst nachdem auf diese Weise die erforderlichen Vorbedingungen geschaffen waren, erst nachdem durch solche handelspolitische Grossthaten die immer noch mächtige venezianische Concurrenz aus dem Felde geschlagen war und die ganze damalige civilisirte Welt die Vorzüge des böhmischen Glases schätzen gelernt hatte, war die eigentliche Blütezeit der österreichischen Glas-Industrie gekommen. Die grösste künstlerische Vollkommenheit wurde unter den Regierungen von Karl VI. und der grossen Kaiserin Maria Theresia erreicht. Die alten Adelsgeschlechter der Berka, Smiritzky, Wartenberge oder Rosenberge wurden in der Patronanz der Glas-Industrie von anderen abgelöst, von den Eggenbergen, Schaffgotsch, Kinsky, Buquoy, Desfours oder Harrach, die schon im eigensten Interesse mit noch grösserem Eifer alle Glashüttenbestrebungen nach besten Kräften förderten. Die Kopfleiste dieses Aufsatzes zeigt die Wappenschilder der wichtigsten Glasprotectoren von Böhmen.

Nicht zum geringsten Theile war die Glanzepoche der heimischen Glasdecoration dadurch bedingt, dass man sich in der Technik weise einschränkte und nur nach einer Richtung die grösstmögliche Ver­vollkommnung anstrebte. Das Reissen mit dem Diamanten verschwindet in Oesterreich vollständig, die Malerei tritt wesentlich zurück, ebenso die Vergoldung; der Glasschnitt übt die Alleinherrschaft aus und duldet neben sich nur den vorbereitenden Glas schliff. Die Voraussetzung hiefür war ja in der besten Weise erfüllt, indem bereits gegen Ende des 17. Jahrhunderts, noch mehr aber während der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts die absolute Klarheit und Reinheit des Glasmateriales einen derartigen Grad erreicht hatte, dass kaum noch etwas in dieser Beziehung zu wünschen übrig blieb.

Die Formen der Glasgefässe des 18. Jahrhunderts sind ungemein mannigfaltig, ebenso die für dieselben gebräuchlichen, oft fremdländischen Namen. Die kluge Rücksichtnahme auf die ferne, selbst aussereuropäische Kundschaft zeitigt mitunter auch weniger gelungene Gestalten, die neben den ge­wöhnlichen Bechern oder den zierlichen Schiffchen das Feld behaupten. Aber die Hauptform, der ele­gante und vornehme facettirte böhmische Deckelpocal ist in der Regel von so vollendeter Schönheit, dass ihm kaum ein anderes Trinkgefäss ebenbürtig an die Seite gestellt werden kann. Wir vergessen beim Anblick eines so ruhig-edlen Kunstwerkes fast, dass wir uns in der Zeit Ludwigs XV. befinden und die tolle Rococolaune im Porzellan und in anderen Materialen schon ihre Caprioien zu machen beginnt; dem Glas haftet eben in seiner altüberlieferten socialen Ausnahmestellung etwas conservativ Adeliges an, und es legt grossen Werth darauf, die Abstammung von den grossen Bergkrystall-Ahnen nicht verwischen zu lassen.

Reich und doch selten protzig überladen bedeckt die Gravirung die geschliffenen Flächen; der Schmuck ist entweder nur ornamental, oder aber in den meisten Fällen auch figural. Mythologie und Religion, Allegorie und Emblem, Geschichte und Genre wechseln mit einander ab, um die Versicherung der Freund­schaft und Liebe oder die Sehnsucht nach dem Frieden auszudrücken, um ein Hoch auf den Kaiser oder andere Landesfürsten auszubringen, oder Lieblingspassionen des zu Beschenkenden zu veranschau­lichen. Bald erscheinen uns in zwölf Medaillons die Apostel oder andere Heilige, bald die Cardinal- tugenden oder auch recht drastisch und humoristisch-rebushaft lockende Sünden, bald wieder die vier Elemente, die Zeitalter, die vier Jahreszeiten oder die Sternbilder des Thierkreises, bald Bilder von der

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