Durch die Verbindung mit solch ausgezeichneten Kräften begann die Aera des Aufschwunges der Hirten­berger Fabrik. Werkstätte an Werkstätte wurde gebaut; Dampfkraft, Maschinen und andere moderne Einrichtungen wurden in rascher Folge nach Maassgabe des Bedarfes angeschafft. Technische und commerzielle Fortschritts­bestrebungen, unterstützt von Fähigkeit und einer maassvollen Energie, wetteiferten, um das Unternehmen auf den heutigen Stand zu bringen, auf welchen es sich mit Hilfe des ehrenden Vertrauens der österreichisch-ungarischen Heeresverwaltung und vieler Regierungen, auch überseeischer, sowie eines zahlreichen privaten Kundenkreises, zu einem Etablissement ersten Ranges emporgeschwungen hat.

Die Fabrik, welche noch im Jahre 1887 mit 40 HP Dampfkraft in zwei Werkstätten mit 160 Maschinen und höchstens 200 Hilfskräften arbeitete und eine Leistungsfähigkeit von 25.000 Stück diversen Patronen per Tag auswies, erreichte im Jahre 1896 eine Ausdehnung auf ca. 9-5 ha = ca. 17 Joch Grundfläche mit einer verbauten Fläche von ca. 6 j / 4 ha = ca. 10 Joch und besitzt ausser dem Pulver-Handdepot in Hirtenberg ein grosses Pulvermagazin, das sich im nahegelegenen Kottingbrunn befindet, mit einem Fassungsraume für 10.000 kg rauchschwaches Schiesspulver. Die Schiesstätte ist mit den neuesten physikalischen und mathematischen Instrumenten und Apparaten versehen, und die Erzeugnisse werden auf ihre Güte und Haltbarkeit, auf ihre Anfangsgeschwindigkeit, Durchschlagskraft und ihren Gasdruck eingehend geprüft.

Die maschinelle Einrichtung besteht aus 6 Dampfmotoren mit zusammen 383 HP, 2 Dynamolichtmaschinen mit 32.000 Watts Capacität, ca. 1160 Arbeits- und 245 Hilfsmaschinen. Die vorhandene Einrichtung und Ausrüstung ist für 3ooo Arbeiter ausreichend. Der bisherige höchste Arbeiterstand wurde im Jahre 1895 mit 2600 Köpfen erreicht.

Nahezu sämmtliche Specialmaschinen sind nach eigener Construction in den eigenen Werkstätten erzeugt, und wurden bereits einzelne derselben an viele Regierungen Europas und auch an überseeische für deren Arsenale abgegeben.

Infolge der peinlichen Aufmerksamkeit und der genauesten Schutz- und Sicherheitsvorkehrungen hat die Fabrik trotz der naturgemäss enormen Gefahren ihrer Production noch keinen einzigen grösseren Unfall erlitten.

Die erprobte tägliche Leistungsfähigkeit beträgt für Armeezwecke: 600.000 Stück Gewehrpatronenhülsen, 1,000.000 Stück Zündhütchen, 500.000 Mantelgeschosse, 150.000 Patronenmagazine, und es können täglich 500.000 Stück Gewehrpatronen, laborirt und adjustirt, lieferungsfähig hergestellt werden; für Commerzzwecke können täglich er­zeugt werden: 150.000 Stück Metallhülsen für Revolver, Scheibenstutzen und Zimmergewehre, 125.000 Stück Jagd­patronenhülsen, sowie die dazu gehörigen Zündhütchen und Bleikugeln.

Ausser dem Antheile an den jährlichen Lieferungen von Munitionstheilen für die österreichisch-ungarische Armee lieferte das Etablissement in den letzten Jahren Munitionstheile, zumeist aber fertig adjustirte scharfe Patronen an die Regierungen von Schweden, Deutschland (100 Millionen Hülsen in zehn Monaten), Serbien, Bulgarien, Ru­mänien, Montenegro, Spanien, Chili, China und an viele andere überseeische Staaten.

Im Commerzgeschäfte ist das Unternehmen ununterbrochen bemüht, durch Verbesserungen und Verbilligung die Geltung seiner Fabricate zu erhalten und hat es trotz der enormen Concurrenz Deutschlands, Frankreichs und Englands dahin gebracht, nicht nur die ausländischen Producte vom österreichisch-ungarischen Markte zu verdrängen, sondern auch seine eigene Marke in Deutschland, der Schweiz und Italien, Schweden, sowie in den Donauländern zu einem beliebten und bevorzugten Artikel zu gestalten, so dass täglich grössere Expeditionen nach diesen Staaten erfolgen. Von dem österreichischen und ungarischen Bedarfe an Commerzwaare deckt die Fabrik etwa die Hälfte.

Sie hielt aber auch in der Vorsorge für das geistige und leibliche Wohl ihrer Bediensteten gleichen Schritt mit ihrer Ausdehnung, und die Wohlfahrtseinrichtungen sind mit der Grösse der Anlage gewachsen. Die Firma unterstützte die Arbeiter reichlich bei der Errichtung einer Lebensmittel- und Hausbedarfs-Consumhalle, welche in eigener Verwaltung der Arbeiter ist und sich bestens bewährt. Es wurde eine Fabriksrestauration sammt Fleischerei und Selcherei eingerichtet, in welcher dem Restaurateur, der durch ihm zugestandene Beneficien entschädigt ist, die Preise der Speisen und Getränke vorgeschrieben werden, welche um ca. 20°/ 0 billiger sind als jene der anderen Gastwirthschaften des Ortes. Nebst den grossen Restaurationslocalitäten gehört hiezu auch ein grosser Arbeiter­speisesaal, in welchem die Arbeiter in den Mittagspausen, sowie Früh bei kaltem und schlechtem Wetter bis zum Beginne der Arbeitszeit Unterkunft finden.

Es bestehen 3 doppelte einstöckige und 4 ebenerdige Arbeiterhäuser mit kleinen Gärten für zusammen 44 Arbeiter­familien, sowie 2 Schlafbaracken für ledige Arbeiter, und zwar eine für männliche und eine für weibliche, mit einem Belegraum von zusammen 168 Betten, nebst Waschräumen, sowie ein Küchen- und Waschhaus. Das Unternehmen besitzt ferner ein eigenes Epidemiespital mit Küche, Bad und Wärterwohnung mit einem Belegraum für 16 Betten.

Für gesundes Trinkwasser ist in den Fabriksanlagen durch 11 Schöpfbrunnen reichlich gesorgt, während solches in sämmtlichen Fabriksräumen durch eine eigene Trinkwasserleitung zugeführt wird.

Ein Dampf-, Douche- und Wannenbad besteht innerhalb der Fabriksanlage und ist über ärztliche Ver­ordnung jedem Arbeiter zugänglich. Für die weitere hygienische Vorsorge und erste Hilfe in der Fabrik sorgt ein eigenes freiwilliges Sanitätscorps aus Fabriksbediensteten, welches unter der Leitung des Fabriksarztes und einiger geschulter Sanitätsmänner seine Thätigkeit auch auf die ganze Ortschaft ausdehnt. Dasselbe ist mit einer reichen Hausapotheke und dem nöthigen Verbandzeuge ausgestattet.

Die Krankenversicherung und -Unterstützung erfolgt durch den Verein der «Hirtenberger Kranken- und Unterstützungscassa», welcher, im Jahre 1874 gegründet, von Arbeitern geleitet, zu den bestdotirten Cassen Nieder­österreichs gehört; auf seine Leitung übt die Firma eine Ingerenz aus.

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