HIRTENBERGER

PATRONEN-, ZÜNDHÜTCHEN- UND METALLWARENFABRIK

vormals KELLER & COMP. (ACTIENGESELLSCHAFT)

HIRTENBERG (NIEDERÖSTERREICH).

inen nicht unbedeutenden Beitrag zum Aufschwünge der österreichischen Industrie unter der glor­reichen Regierung Sr. Majestät unseres erhabenen Kaisers Franz Josef I. bildet die Geschichte der Hirtenberger Patronen-, Zündhütchen- und Metallwaarenfabrik vorm. Keller & Comp. Diese Industrie ist nämlich nicht allein auf das Vertrauen des consumirenden grossen Publicums, sondern vorzugsweise auf das Vertrauen der österreichisch-ungarischen Heeresverwaltung, sowie der Regierungen fremder Staaten angewiesen, und zwar in Anbetracht der Gefährlichkeit der Erzeugung, noch mehr aber mit Rücksicht auf die Verantwortlichkeit des Verkehres in- und ausserhalb der Betriebsstätte, d. i. im Hause und im Absatzgebiete.

Kenntnisse und Erfahrungen, praktischer Sinn, gepaart mit rastloser Thätigkeit, haben hier aus ganz ge­ringen Anfängen ein Etablissement geschaffen, auf welches die Begründer und Mitarbeiter mit stolzer Befriedigung hinweisen können, die österreichische Industrie aber mit freudiger Genugthuung zu blicken vermag.

Die ersten Anfänge des Unternehmens reichen in das Jahr 1861 zurück. In diesem Jahre eröffnete Seraphin Keller in dem damals nur aus wenigen Häusern bestehenden Orte Hirtenberg, dem Eingänge in das herrliche Trie- stingthal, eine kleine Werkstätte, in welcher er mit seinen beiden jugendlichen Söhnen Anton und Fridolin Keller und wenigen Hilfskräften die Metallwaarenerzeugung betrieb. Die Söhne, die besten Mitarbeiter ihres Vaters, erfassten den Zug der Zeit, sie begriffen, dass neben der praktischen Erfahrung auch theoretische Kenntnisse zur Entwicklung einer Fabrik höchst nothwendig seien, und erwarben sich letztere in solchem Maasse, dass sie im Jahre 1872 an jene Erweiterung des Fabricationsgebietes gehen konnten, welche die eigentliche Grösse der Hirten­berger Fabrik begründete. Sie wandten sich nämlich der Erzeugung von Geschosszündern und Gewehrmunition zu und leisteten darin so Hervorragendes, dass die österreichisch-ungarische Militärverwaltung ihre Aufträge den jungen Fabrikanten in gerechter Würdigung ihres Strebens zuwandte. Das stete Trachten nach Vervollkommnung der Producte brachte Erfolg, und wenige Jahre nach Beginn der Gewehrmunitionserzeugung beschäftigte die Fabrik bereits permanent 120150 Arbeiter in zwei Werkstätten bei 25 HP Dampfkraft und dehnte den Betrieb auch auf die Herstellung von Zimmergewehr- und Revolvermunition aus.

Den ersten grösseren Lieferungsauftrag aus dem Auslande erhielt die Fabrik im Jahre 1886 von der serbischen Regierung auf 5 Millionen fertiggestellte Gewehrpatronen, welche zur grössten Zufriedenheit effectuirt wurden. Dieser Erfolg, sowie der Umstand, dass zur selben Zeit die österreichisch-ungarische Heeresverwaltung an die Vor­arbeiten für die Neubewaffnung der Armee mit dem 8 mm Mannlicher-Repetirgewehr schritt, wobei die Hirtenberger Fabrik, um ihre Position zu behaupten, mit in Bewerbung treten wollte und musste, veranlasste die Söhne des in­zwischen verstorbenen Begründers Seraphin Keller, an eine ausgiebige Vergrösserung der Anlage zu denken. Sie associirten sich im Jahre 1887 mit den Besitzern der «Wiener Jagdhülsen-, Patronen- und Zündhütchenfabrik L. Mandl & Co.», welches Unternehmen von dem Gesellschafter dieser Firma, Sigmund L. Mandl, geleitet wurde. Diese Verbindung war schon in Anbetracht der leitenden Person die Grundlage der heutigen Grösse der Hirten­berger Unternehmung, sie bedeutete den enormen Aufschwung derselben.

Es ist hier am Platze, in gedrängter Kürze Einiges über die Wiener Jagdhülsen-, Patronen- und Zündhütchen­fabrik L. Mandl & Co. zu berichten. Dieses Unternehmen verdankte seine ausserordentlich rasche Entwicklung der besonderen Tüchtigkeit und Energie seiner Leitung. Es war unter bescheidenen Verhältnissen im Jahre 1882 be­gründet worden, beherrschte aber schon nach ganz kurzer Zeit den in- und ausländischen Markt mit seinen Commerz­artikeln und deckte nahezu den halben Bedarf des Inlandes an Revolver-, Scheiben-, Zimmergewehr- und Jagd­munition. Ueberdies entwickelte das Werk einen ausgebreiteten Export nach den Donauländern, nach Deutschland, der Schweiz und nach Italien.

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Die Gross-Industrie. II.

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