volles Dessiniren dadurch entstehen, dass länger offengehaltene, nicht abgebundene Stellen gewisse Lichteffecte hervorbringen, die durch gut abgekochte und glänzend gefärbte Organsin- (Ivetten-) und Trama- (Schuss-)Seide zur vollsten Wirkung gelangen und sozusagen mit dem feurigen Schimmerspiel eines wirklichen Brillants etwas Aehnlichkeit haben, konnten daher nicht unpassend Brillantinstoffe genannt werden.
Es wurden lange Zeit hindurch — auch noch gegenwärtig — in der beliebten Brillantmanier vielerlei Artikel fabricirt, so z. B. buntfärbige Tücher für den Landbedarf, häufig auch broschirt, in feinem Genre für Damen, einfärbige Cachenez für Herren, Brillantinkleiderstoffe für Damen, welche seinerzeit besonders von der Firma Brüder Mestrozi in so vorzüglicher Qualität und mannigfaltiger, schöner Dessinirung erzeugt wurden, dass diese sehr rührige Firma mit diesem glänzenden Artikel auch glänzende Geschäfte machte. Wir haben es im Jahre 1838 selbst aus dem Munde des dazumal noch lebenden, aber bereits mehrere Jahre privatisirenden Associé der seither erloschenen Firma Brüder Mestrozi vernommen, dass die Elle solchen, gegen drei Viertel Wiener Elle breiten Stoffes für einen Ducaten verkauft wurde, und doch der Nachfrage des kaufenden Publicums kaum genügt werden konnte. Mestrozi fabricirten auch Livreeborden und vielerlei andere schöne Artikel. Dieselben waren sehr emsig im Sammeln und Aufbewahren ihrer Erzeugnisse und brachten mit der Zeit eine bedeutende, interessante, in grossen Lederbänden fixirte Mustercollection zu Stande, welche auf unsere Anempfehlung ungefähr in den Siebzigerj ahren für die Sammlungen des Kunstgewerbe-Museums durch den Director Hofrath v. Eitelberger erworben wurde.
Zur Vervollständigung der Fabrications-Schilderung sei noch einiger Artikel erwähnt, welche ungefähr in der Mitte gegenwärtigen Jahrhunderts in Schwung kamen: schwarze, glatte Taffet- und Atlastücher, mitunter auch façonnirte, sogenannte Gradeitücher, die zumeist für das Landvolk Verwendung fanden. Nebstbei gelangten, bis zur Abtrennung Italiens im Jahre 1859 schwere, breite ( 9 / g , 5 / 4 > 6 A der Wi ener Elle und noch breitere) schwarze Glanztaffetstoffe, »Signorie« und eine bessere Sorte, »Noblesse« benannt, aus dem Mailändischen nach Oesterreich, später aus Crefeld und Elberfeld, welche zu Kleidern, Kopftüchern oder Schürzen von der weiblichen Landbevölkerung Oberösterreichs und des Salzkammergutes mit Vorliebe getragen wurden.
Die Seidenzeug-Fabrikanten Wiens versuchten auch in Bezug auf »Signorie« und »Noblesse« zu concurriren, jedoch ohne durchschlagenden Erfolg, woran hauptsächlich die dazumal nicht genügende Färberei und Appretur Schuld trugen.
Auch in letztgenannten Artikeln fand nach ein paar Decennien schon ein gewaltiger Umschwung statt, da andere städtische Moden, welche in Folge des regen Eisenbahnverkehres selbst die Kreise der Landbevölkerung erfassten, die altgewohnten nationalen Kleidungsstücke verdrängten.
Schliesslich wollen wir noch einen in den Fünfzigerjahren neu erfundenen Artikel, die Chenillen- waare, erwähnen, welcher einige Zeit geradezu Furore machte. Es dürfte wohl der hiesige Seidenzeug- Fabrikant Siebert der Erste gewesen sein, welcher Chenillentücher aus Seide erzeugte; wenigstens wurde von ihm erzählt, dass er mit seiner Fabrication sehr geheimnisvoll that und jeder Webstuhl in seiner Werkstätte durch Wände verhüllt war, um das »Abschauen« zu verhindern. Dessenungeachtet gelangte diese Production in wenig Jahren in andere Hände, z. B. befassten sich Backhausen, insbesondere auch Zell damit, welch letzterer eine eigene Fabrik zu diesem Zwecke in Penzing unterhielt, wahrhaft prachtvolle Waare producirte und bedeutende Exportgeschäfte darin machte.
Die Chenillenwaaren 1 ), hauptsächlich Tücher und schmale Schärpen, erhielten sich nicht so lange als die Shawls. 2 ) Die Erzeugungsweise derselben war lange schon in Bezug auf deren Technik bekannt — mindestens Chenillen allein waren bereits seit alter Zeit Verzierungsartikel gewesen; doch gelang es der Wiener Industrie wie mit einem Schlage, durch Anwendung schöner, farbenprächtiger Blumenmuster den Markt fast ausschliesslich zu erobern. Nahezu ein volles Decennium, von 1850—1860, arbeitete fast jeder, auch der kleinste Weber, in Chenillenartikeln, denn die Herstellung erforderte keine Jacquard-Maschinen und genügte die denkbar einfachste Stuhlvorrichtung. Man gieng bald von besseren Webematerialien von Seide auf Baumwolle und dann auf die schlechtesten und billigsten über, und dadurch war bald der ganze
') »Entwicklung von Industrie und Gewerbe in Oesterreich in den Jahren 1848—1888.« Herausgegeben von der Commission der Jubiläums-Gewerbeausstellung, Wien 1888. S. 84.
2 ) Die Shawl-Fabrication, zu welcher auch Seide in Verwendung kam, zunächst für Kette, während zum Schuss feine Schafwolle, nur selten auch etwas Seide und in diesem Falle Chappeseide gebraucht wurde, ist im Laufe einiger Decennien — in den Vierzigerjahren beginnend — schwungvoll und rühmlich in Wien betrieben worden, doch wegen Aenderung der Mode in neuerer Zeit gänzlich vom Schauplatze verschwunden.
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