In den letzten Jahren haben wir zunächst eine Reihe technischer Ausgestaltungen des österreichi­schen Netzes zu verzeichnen, welche sich durch folgende Maassnahmen charakterisiren: i. Ersatz zahl­reicher Provisorien durch bleibende Kunstbauten (Umbau von Holzbrücken in Eisen- oder Steinbrücken u. s. w.); 2. Verstärkung der bestehenden Brückenconstructionen zur Aufnahme grösserer Belastungen; 3. Bau eines zweiten Geleises und Erweiterung der Geleiseanlagen für die Zugförderung; 4. Vervoll­kommnung der Signal- und Weichenversicherungs-Einrichtungen (Weichenconstructionen u. s. w.); 5. Ver- grösserung der Aufnahms- und Betriebsgebäude; 6. Vermehrung des Fahrparkes.

Diesen Maassnahmen folgten: 1. die Belebung der Reiselust und des Güteraustausches; 2. die Erhöhung der Bequemlichkeit und Geschwindigkeit der Personenfahrt; 3. die Verbilligung derselben durch die Einführung des Kreuzer-Zonentarifs; 4. die Vereinfachung und Beschleunigung des Güterdienstes; 5. die Verbilligung desselben durch geringere Grundtaxen und Einführung eigener Wagenladungsclassen für Sammelgut und Massenverkehr.

Endlich müssen wir der immer mehr sich entwickelnden Wohlfahrtseinrichtungen unserer Eisen­bahnen, bestehend in Wohnhäusern für die Bediensteten, Badeanstalten, Lebensmittelmagazinen, Speise­räumen, gedenken, welche mit der Ausgestaltung des Bahnwesens in enger Verbindung stehen.

Die Eisenbahnbauten der allerjüngsten Zeit haben durch die Wiener Stadtbahn einen würdigen Abschluss gefunden.

In der technischen Durchführung des Eisenbahnbaues haben wir zwischen dem sogenannten Unter- und Oberbau zu unterscheiden.

Ersterer hat zunächst die Aufgabe, dort wo der natürliche Boden für die Linie zu tief liegt, Dämme und Brücken, dort wo er zu hoch sich aufbaut, Einschnitte und Tunnels herzustellen, wobei die Bodengestaltung und Bodenbeschaffenheit grössere oder kleinere Schwierigkeiten mit sich bringen kann.

Eine zweite Aufgabe des Unterbaues besteht darin, die Bahnanlage durch entsprechende technische Maassnahmen zu schützen; Wasser, Rutschungen, Schneeverwehungen, Lawinen und Bergstürze u. s. w. kennzeichnen mit wenigen Worten die gefährlichen Feinde.

Grosses hat Oesterreich speciell auf dem Gebiete des Unterbaues geschaffen.

Bemerkenswerth ist, dass hiebei die Technik einen Weg wandelte, der im Interesse der Oekonomie von der übertrieben sicheren Ausführung zur einfacheren allmählich hinüberleitete. Gerstner baute in die Dämme der Linz-Budweiser Bahn unter den Geleisen mächtige Steinmauern ein. Schönerer verliess diese zu kostspielige Bauweise und leitete auf Grund seiner in Amerika gewonnenen Erfahrungen zu den heute üblichen Profilen hinüber; die Dämme wurden jedoch noch in Lagen geschüttet und gestampft, bis man später auch diese Bauweise durch einfache Schüttungsmethoden ersetzte.

Die Semmeringbahn, die Ghega dem steilen Felsgelände theils mittelst Seitengallerien, theils mittelst mächtiger Steinbrücken, Futter- und Stützmauern anschmiegte, ist eine Alpenlinie, die man in gewissem Sinne als eine gemauerte bezeichnen kann, kommen doch 15 Cubikmeter Mörtelmauerwerk im Durchschnitte auf jeden Meter der zweigeleisigen Strecke.

Viel gewaltiger in ihren Formen, aber einfacher in ihren Mitteln, ist die Brennerbahn, die insbeson­dere den Kampf mit dem Wasser aufzunehmen hatte. An Stelle des Viaductes tritt vielfach der Erddamm, an jene des Tunnels der tiefe Einschnitt, an Stelle der Futter- und Stützmauer der Steinsatz, Ueber- brückungen werden durch Umlegung der Wasserläufe vermieden oder in ihrer Spannweite reducirt; mit gewaltigen Steinen, die Ketten verbinden, wird der Fuss der Dammböschung gegen die nagende Fluth geschützt, durch Wehre der Vertiefung des Flussbettes vorgebeugt. Bei der Durchführung der Brennerlinie vermählte sich der Erdbau mit dem Wasserbau. Ersterer selbst aber kräftigte sich und erstarkte im englischen Einschnittsbetriebe, den Thomen und Bressel einbürgerten und der später bei Heiligenstadt nächst Wien, bei Gastdorf in Böhmen und anderen Orten zu mächtiger Blüthe sich ent­faltete. Die Herstellung grosser Schuttgerüste, die Einführung der elektrischen Zündung bei der Felssprengung, die Anwendung der Zündschnüre von Abegg, die Verwendung des Dynamits, welche zuerst auf Anregung Trauzls durch Köstlin und Pischof beim Baue des Einschnittes durch den Buchberg erfolgte, die Einführung der Rollbahn zum Bau des bleibenden Geleises, die von Hügel und Säger zuerst auf der Wasserscheide zwischen Neumarkt und Ried-Braunau zur Bewältigung der mehr als 200.000 Cubikmeter umfassenden Einschnittsmassen in grösserem Umfange zur Anwendung kam, sind als ent­schiedene Fortschritte zu bezeichnen. Rziha zwang das Drahtseil in die Dienste des Erdbaues und

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