47 Industrie-Actiengesellschaften verschiedener Art war ein eingezahltes Actiencapital von ii6'9 Millionen Gulden bereits investirt, wovon der grösste Theil auf Hütten- und Eisenwerke und Maschinenfabriken entfiel. Von den grossen, damals gegründeten und noch heute bestehenden Industrie­gesellschaften erwähnen wir: Allgemeine österreichische Baugesellschaft (1869), Wiener Bau­gesellschaft (1869), St. Egydyer Eisen- und Stahlindustrie-Gesellschaft (1869), Felixdorfer Weberei und Appretur (1869), Erste österreichische Jutespinnerei und Weberei (186g), Lankowitzer Kohlen-Compagnie (1869), Simmeringer Maschinen- und Waggonbaufabrik (1869), Papierfabrik »Schlöglmühl« (1869), Ternitzer Walzwerk (1867), Thürnthaler Zuckerfabrik (1869), Oesterreichische Waffenfabriksgesellschaft (1869), Wienerberger Ziegelfabriks- und Bau­gesellschaft (1869). Die grossen, damals begründeten Eisen- und Plüttenwerke, wie die Innerberger, Hüttenberger, Steirische Eisenindustrie-Gesellschaft etc. sind bekanntlich später in die Oesterreichische Alpine Montangesellschaft aufgegangen.

Fünf Jahre später 1874 stand das Reich nach einem unerhörten, leider nur ephemeren Aufschwung im Zeichen des wirthschaftlichen Ruines, eines Zusammenbruches, dessen Spuren durch Decennien emsiger Arbeit nicht ganz verwischt werden konnten. Bis zum verhängnisvollem Jahre 1873, welches für immer mit schwarzen Lettern eingegraben bleiben wird in der volkswirthschaftlichen Geschichte der Monarchie, waren die Wogen der speculativen Unternehmung immer höher und höher angeschwollen. Nichts galt mehr für unmöglich, in athemlosen Laufschritt vermeinte man die Versäumnisse von Jahr­hunderten einholen zu können, und das Ende war der »Krach«, welcher nicht nur die ungesunden Gebilde des Augenblickes in die Luft sprengte, sondern auch alle langsam gewordenen und bis dahin gefestigten Unternehmungen in ihren Grundlagen erschütterte. Welche Dimensionen die Gründungswuth angenommen hatte, geht daraus hervor, dass im Jahre 1872 allein 218 neue Actiengesellschaften, welche zusammen ein statutenmässiges Actiencapital von 1049^9 Millionen Gulden besassen, zur Protokollirung gelangten. Ende 1871 bestanden 462 Actiengesellschaften mit einem eingezahlten Actiencapital von 1222 Millionen in Oesterreich, und zwar 29 Eisenbahnen, 65 Banken und Creditinstitute, 32 Versicherungsgesellschaften und 326 Industrie-Actiengesellschaften der verschiedensten Art, welch letztere zusammen über ein eingezahltes Actiencapital von 244 Millionen Gulden verfügten. Bis zum grossen Zusammenbruch im Mai 1873 war die Zahl derselben auf mehr als 400 mit einem Actiencapital von rund 350 Millionen Gulden gestiegen. Wie wenige der industriellen Schöpfungen der Periode 1869 bis 1873 konnten sich bis auf die Gegenwart erhalten! Ein so riesiger Capitalsaufwand für Actiengesellschaften hätte massen­haftes Capital und billigen Geldpreis, sowie eine sehr lebhafte Handels- und Industriebewegung voraus­setzen lassen. Das gerade Gegentheil war der Fall! Der Credit für Industrielle und Kaufleute war nie so schwierig und theuer wie damals. Börse und Spéculation nahmen alle verfügbaren Mittel für sich in An­spruch. Der Zinsfuss der Nationalbank stand von 1870 bis zum März 1873 mit geringen Unterbrechungen auf 6 und 6V3 Procent und Privatbanken und Banquiers hatten den Wechselescompt auf das Aeusserste restringirt, denn an der Börse waren im Report 10 bis 23 Procent leicht zu holen! Der Bank- und Staatsnoten-Umlauf war zwar Ende 1871 auf 691 Millionen, Ende 1872 auf 697 Millionen Gulden gestiegen, blieb aber für den enormen Bedarf ganz unzulänglich. Das einzige Tröstliche bildete blos der niedrige Stand des Agios, welches in den Jahren 1872 und 1873 zwischen 5V2 und 9V2 Procent schwankte. Die Verluste, welche der österreichisch-ungarischen Volkswirthschaft durch den Zusammen­bruch des Jahres 1873 verursacht wurden, sind zwischen 3 und 4 Milliarden Gulden berechnet worden, und es bedurfte langer Zeit, um sie nur halbwegs auszugleichen. Die Creditorganisation des Reiches aber erfuhr durch den Krach eine wohlthätige Aenderung. Die Banken die Banquiers alten Schlages waren durch dieselben in der Zahl und in der Bedeutung stark reducirt worden widmeten sich nach dem Sturme eifrig der Pflege des commerziellen und industriellen Crédités, suchten und fanden darin den Haupttheil der Verzinsung'ihrer Capitalien. Das »reguläre« Bankgeschäft kam wieder zu Ehren und ist bis auf die neueste Zeit die wichtigste Quelle der Bankdividenden geblieben. Von den grösseren noch bestehenden und prosperirenden Creditinstituten, weichein der Periode von 1870 bis 1874 entstanden, führen wir folgende an: Oesterreichische Central-Bodencreditbank (1871), Allgemeine Depositen­bank (1871), Wiener Giro- und Cassenverein (1872), Neue Wiener Sparcasse (1872), Union- Bank (1870), Wiener Lombard- und Escomptebank (1873), Galizische Bodencredit-Anstalt (1872), Galizische Creditbank (1873), Marburger Escomptebank (1872) und Böhmische Unionbank (1872).

Die Gross-Industrie. VI.

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