In Folge der zunehmenden, immer mehr sich entwickelnden Fabrication vermehrte sich die Con- currenz, welche naturgemäss einen zunehmenden Druck auf die Preise ausübte. Der Fabrikant sah sich gezwungen, nachzugeben oder auf die Schaffung neuartiger Artikel zu sinnen. Letzteres Auskunftsmittel wurde von intelligenteren Fabrikanten ergriffen, die sich dann vorzugsweise als Modewaaren-Fabrikanten qualificirten; gelang es ihnen noch dazu, ein k. k. Landesprivilegium oder mindestens Privilegiumsrechte zu erwerben, so trugen solch pompöse Titel auch einiges zur Réclamé bei. Das Nachgeben bei den Preisen hatte die ganz natürliche Folge, dass man, um keinen Schaden zu erleiden, die Stoffe allenfalls schmäler oder leichter machte, oder beides zugleich. Nach und nach gieng man in der Verbilligung weiter; statt gekochter (purgirter), allerdings glanzvoller Eintragsseide (Trama) wurde minderglänzende (Souple) gefärbte Trama, bei schwarzen Stoffen sogenanntes schweres Hamburgerschwarz (Dons) verwendet. Als die Chappegespinnste (aus Seidenabfällen bestehend) auftauchten, wurden solche anfänglich im gezwirnten Zustande, später aber nur mehr einfach eingetragen. Aus letzterem Materiale wurden von Mitte gegenwärtigen Jahrhunderts an durch ein paar Decennien Massen von Foulardtücheln erzeugt (die Kette war Grège, der Schuss einfache Chappe), welche auch unserer Druckerei-Industrie lohnende Beschäftigung gaben.
Während schon seit unendlicher Zeit Damaste, Brocatelle, selbst Sammt und manch andere, besonders dessinirte Stoffe mit Baumwollschuss gewebt wurden, kam man um die Mitte dieses Jahrhunderts auf die Idee, sonst nur in Ganzseide producirte Atlasse, statt mit Trama, durch Eintrag von englischem, gasirtem feinen Baumwollzwirn darzustellen. Wie wir des Weiteren noch bei der Halbseidenwaaren-Erzeugung sehen werden, gab eben dieses Gespinnst (eine englische Erfindung, ironisch »Palmerston-Seide« genannt) sofort nach seinem Erscheinen auf unserem Markte durch seinen beinahe seidenartigen Glanz die Anregung, dieses schöne Surrogat statt der Seide zu verweben, was auch mit bestem Erfolge geschah.
Eine Sorte dicker schwerer Atlasse (Razimor), von galizischen Juden für ihre Röcke (Pekisch) mit Vorliebe verwendet, konnte durch den Eintrag von englischem gasirtem Baumwollzwirn statt Tramaseide viel billiger hergestellt werden und erfreute sich eines zunehmenden Absatzes, umsomehr, als die Galizier auch einen lebhaften Absatz mit diesem Artikel nach Russland zu erzielen und zu erhalten bemüht waren. Ein Ukas machte dieser jüdischen Nationaltracht — wie man sie nennen kann — in Russland ein Ende, und da auch in Galizien selbst die sogenannte fränkische (deutsche) Mode die Oberhand gewann und die Galizier wie andere Oesterreicher sich kleideten, verschwand nach und nach der Unterschied der Tracht, und mit Anfang der Achtzigerjahre erlosch beinahe die Erzeugung von Razimor oder Razimar, wie derselbe verschiedenartig benannt wurde.
Es dürfte der Erinnerung werth sein, eines Modewechsels der Männerbekleidung zu gedenken, welcher sich bald nach der Mitte des 19. Jahrhunderts vollzogen hat. Bis dahin wurde in dem Kleidungsstücke »Weste« (Gilet) von altersher ein gewisser Luxus getrieben. Dieses Kleidungsstück, welches sich zu auffälliger Schaustellung eignet, und welches für Gering oder Reich meist schmuckvoll ausgestattet war, bot viele Abwechslung in der Fabrication, und beschäftigte einzelne Fabrikanten fast ausschliesslich. Bauern trugen an Festtagen Seidenwesten, die mit bunten Blumen eingewirkt waren, die übrige Männerwelt bis zum Cavalier hinauf Seidenatlas-, auch Seidensammtwesten, glatt und façonnirt; letztere oft so fein und künstlich gewebt, dass sie auf 10, 15 bis 20 fl. per Stück und noch höher im Preise zu stehen kamen. Im vorigen Jahrhundert wurden gerne von höheren Standespersonen reichgestickte Gilets nach französischer Mode getragen.
Zur Sommerszeit bediente man sich für Westen des sogenannten Piquets aus feiner Baumwolle, zuerst in England erzeugt, welcher Artikel jedoch auch bei uns in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts von den Piquet-Fabrikanten gut und schön erzeugt wurde; unter diesen war die Firma Westhauser in Wien gut bekannt.
Doch wie Alles hienieden dem Zahn der Zeit verfällt, so hatte es in den Fünfzigerjahren auch mit den hübschen Luxuswesten sein Ende, da die Mode, complété Anzüge (mit Inbegriff der Weste) aus einem und demselben Tuchstoffe oder Sommerzeug zu tragen, bald allgemein wurde. In Folge dessen gieng das ganze, ziemlich umfangreiche. Geschäft mit Giletstoffen für die Seiden-Industrie verloren.
W ir kommen nochmals auf die ersten Decennien des 19. Jahrhunderts zurück, um einen wichtigen Artikel damaliger Zeit, den Brillantinstoff, einiger Betrachtung zu unterziehen.
Wenn schon die Seide als Königin unter den Textilstoffen gepriesen wird, so nimmt folgerecht der Brillantinstoff den Ehrenplatz unter den Seidengeweben ein. Diese Stoffe, welche durch verständnis-
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