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Die Groß-Industrie Oesterreichs : Festgabe zum glorreichen fünfzigjährigen Regierungs-Jubiläum seiner Majestät des Kaisers Franz Josef I. dargebracht von den Industriellen Österreichs 1898 ; Vierter Band
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feiner Tuchscheeren, die bisher aus dem Auslande bezogen werden mussten, einführten, und dass Karl Alexander Offermann 1802 eine Tuchscheermaschine erfand, welche der Vervollkommnung der Fabrication wesentliche Dienste leistete. Die Arbeiter Franz Harnisch und Franz Olbrich brachten den Schnellschützen, der für die fortschreitende Entwickelung des Webeprocesses von hoher Bedeutung ist, nach Reichenberg und Brünn; Kratzmaschinen und andere maschinelle Einrichtungen fanden rasche Aufnahme.

In Bielitz wurden im Jahre 180g durch Andreas Strzygowski und Johann Hänsler die ersten aus Brünn geholten Kratzmaschinen aufgestellt, die bald darauf auch in Bielitz gebaut wurden. Im Jahre 1810 stellten Traugott Scholz und Wilhelm Jankowski die erste Offermannsche Scheermaschine auf, die aus Brünn bezogen wurde. Eylardy errichtete im Jahre 1815 eine Lohnspinnerei und der Brünner Leidenfrost im selben Jahre eine solche in Lipnik bei Biala. Auch in Reichenberg waren seit dem Jahre 1810 Spinn­maschinen, welche durch Wasserkraft betrieben wurden, in Aufnahme gekommen.

Ueber die blühende Tuch-Industrie sollte aber bald eine jähe Krise hereinbrechen. Die napoleoni- schen Kriege hatten die Volkskräfte und den nationalen Reichthum erschöpft. In Oesterreich kam es zu dem Staatsbankerotte des Jahres 1811, der durch die fortdauernden Kriege nahezu bis zum Jahre 1816 in Permanenz blieb und die ganze Staats- und Volkswirthschaft auf das Tiefste erschütterte. Der Bankerott des Staatsganzen führte zu einem allgemeinen Ruine der Einzelnen. Misstrauen und Entmuthigung traten ein; die der Industrie geliehenen Capitalien wurden zurückgezogen; Arbeitslöhne und Nahrungsmittel stiegen zu enormen Preisen und vertheuerten den Betrieb ausserordentlich. Die Aufhebung der Continentalsperre brachte wieder die englische Concurrenz und schnitt die ertragreichen Handelsverbindungen ab. Das Stocken des Absatzes führte zur Entwerthung der Waarenvorräthe, Russland, das ein ergiebiger Markt für die Tuch-Industrie gewesen war, sperrte sich ab und das Jahr 1817 brachte eine furchtbare Missernte. Alle diese Ereignisse im Zusammenhänge mit einer vollständigen Aenderung der Mode, welche den Geschmack von stückfärbigen zu wollenfärbigen Tüchern wendete, liess über die Tuch-Industrie insbesondere Brünns eine unaufhaltsame Katastrophe hereinbrechen. Die meisten der bestehenden Fabriken Brünns erlagen dieser Katastrophe; nur wenige dieser Firmen 7 von 23 überstanden alle diese Schicksalsschläge, wie Johann Heinrich Offermann, Turetschek und einige Andere, welche ihren Betrieb, so hart sie auch mitgenommen waren, aufrecht erhielten und an der neuen, bald zu raschem Fortschritte gelangenden Ent­wickelung des Gewerbes sich betheiligen konnten.

In Reichenberg hatten dieselben Verhältnisse zur Folge, dass die Zahl der selbstständigen Meister von 910 im Jahre 1811 auf 434 im Jahre 1819 zurückgieng, und dass auch die Bergersche Fabrik im Niedergange war. Aus den Trümmern blühte aber bald wieder neues Leben. Wieder waren es Männer vom Niederrheine, welche der Tuch-Industrie neue Kräfte und neuen Geist einhauchten. In Brünn waren es Friedrich und August Schöll, die schon im Jahre 1816 in Schlappanitz bei Brünn eine Lohnspinnerei gegründet hatten, welche die Tuchfabrication in grossem Style aufnahmen. Neben ihnen war es die Firma Gebrüder Schoeller, deren Stammhaus in Düren a. Rh. Philipp Schoeller nach Brünn entsendete. Dieser übernahm die IFabrik der Firma Hopf & Bräunlich, welche mit den in Düren bewährten vollkommenen Einrichtungen, deren zollfreie Einfuhr ein kaiserliches Privilegium bewilligte, ausgestattet wurde und Dank der Energie und Sachkenntnis Philipp Schoellers bald in die erste Reihe trat.

In Bielitz hatten dieselben Verhältnisse dieselbe Nothlage herbeigeführt, welcher auch mehrere Firmen zum Opfer fielen. Von 688 Tuchmachern übten im Jahre 1822 nur mehr 289 das Gewerbe aus.

In Reichenberg gründete 1821 Franz Florian Siegmund, der in den Fabriken des Niederrheins seine ausgezeichnete Fachkenntnis sich erworben hatte, mit Josef Neuhäuser unter der Firma Siegmund, Neuhäuser & Co. eine ausserordentlich reich und vollkommen ausgestattete Tuchfabrik, welcher Gründung die Errichtung einer Tuchfabrik in Röchlitz durch Wilhelm Siegmund folgte.

Die von dem Beginne der Zwanzigerjahre datirende neue Periode der österreichischen Tuch-Industrie wird durch die raschere Aufnahme der technischen Fortschritte, der maschinellen Production und ins­besondere auch durch die Einführung der Dampfkraft in den Betrieb gekennzeichnet. Die capitalistische Periode der Tuch-Industrie in Oesterreich wird dadurch vorbereitet, ihrer späteren, den Kleinbetrieb be­seitigenden Entwickelung zugeführt. Zunächst erwies sich der Kleinbetrieb, dessen zunftmässige Organisation durch die mit Landesbefugnissen ausgestatteten Fabriken wesentlich erschüttert war, dem Fabriksbetriebe noch gewachsen. In mancher Beziehung wurden zwar die Fortschritte der Technik rascher benützt. Die erste Dampfmaschine hatte in Brünn 1814 der Brünner Tuchfabrikant Wünsch, nach dem System Bolton-

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