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Die Groß-Industrie Oesterreichs : Festgabe zum glorreichen fünfzigjährigen Regierungs-Jubiläum seiner Majestät des Kaisers Franz Josef I. dargebracht von den Industriellen Österreichs 1898 ; Vierter Band
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DIE WO L LWA AREN- GROSS-INDUSTRIE.

nter den Industriezweigen, welche in Oesterreich heimisch sind, nimmt die Schafwollwaaren- Fabrication einen hervorragenden Rang ein. Ihre natürliche Grundlage bildet der im Fände selbst in so reichlicher und vorzüglicher Weise vorhandene Rohstoff, die Schafwolle. Wenn wir das Gebiet der österreichischen Schafwollwaaren-Fabrication überblicken, so zerfällt es in die zwei Hauptzweige der Streichgarnspinnerei und Streichgarnwaaren-Fabrication mit ihrem Stammsitze in Brünn und der Kammgarnspinnerei und Kammgarnwaaren-Fabrication, welche letztere neben den Kamm garnstoffen im engeren Sinne auch die gemischten Stoffe und die Shawls einschliessen, mit dem Stamm­sitze in Reichenberg und Umgebung.

Schon die Zünfte machten bei der Wolle, je nach ihrer Haupteigenschaft der Länge und der Feinheit, ob sie zum Streichen oder Kämmen verwandt werden konnte, einen grossen Unterschied, und zerfielen hiernach in zwei getrennte Gruppen: in die der Tuchmacher, welche zu ihren gewalkten Tuch­stoffen Streich- oder Krämpelgarn verarbeiteten, und in die der Wollenzeugmacher, welche aus Kammgarn ihre sogenannten Wollenzeuge verfertigten.

Für die Zunft der Wollwaarenzeugmacher, den Urahnen unserer heutigen Wollwaaren-Fabrikanten, auf die wfir uns zu beschränken haben, bestanden seit 5. December 1701 eigene Artikel, welche die Ver­hältnisse zwischen Gesellen und Meistern festsetzten und die Meisterstücke genau angaben. Nach dieser Ordnung musste ein Geselle, welcher Meister werden wollte, nicht nur mehrere Stück Zeug von bestimmter Länge und Breite in vierteljähriger Frist verfertigen, sondern auch die Schafwolle hiezu selbst zurichten und spinnen. Den ersten Grossbetrieb in der inländischen Wollenzeugmanufactur finden wir in der k. k. ärarischen Fabrik zu Linz vertreten.

Diese Fabrik wurde 1672 von dem Linzer Bürger Christian Sind gegründet; 1780 bis 1790 war sie in einen so blühenden Zustand gekommen, dass durch sie bei 30.000 Menschen in Oberösterreich, Böhmen und Mähren mit Spinnen und Weben im Hausbetrieb beschäftigt waren. Sie war auf solche Art die bedeutendste Wollenzeugmanufactur in ganz Mitteleuropa. Seit dem Anfänge der französischen Revolution verlor sie allmählich an Absatz, der sich in den ersten Decennien unseres Jahrhunderts noch mehr verringerte.

So weit die früheste Art des Spinnens bekannt ist, erfolgte dasselbe bereits vor Jahrtausenden in ganz ähnlicher Weise wie es vor wenigen Jahrzehnten noch sehr häufig nicht nur bei uns in Oesterreich, sondern auch in Deutschland, Frankreich, England und Belgien geschah. Das einfache Werkzeug dafür war die Spindel, jenes uralte Geräth, dessen Ursprung in sagenhaftes Dunkel gehüllt ist.

Die wesentliche Verbesserung in der Kunst zu spinnen verdanken wir dem deutschen Bildschnitzer Johann Jürgens, der 1530 im Dorfe Wattenbüttel bei Braunschweig lebte und der die Flügelspindel oder

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