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im Jahre 1857 in Pest auf, blieb dort ein Jahr, ging dann nach Stuhlweissenburg, wo sie einen Winter blieb. Von da gelang es ihr, ein Engagement am Carltheater, welches damals unter Nestroys Direction stand, zu erhalten. Hier erregte sie in einigen wenn auch kleineren Rollen entschiedenes Aufsehen und Dr. Heinrich Laube, welcher die grosse Bedeutung ihres Talentes erkannte, rietli ihr, zunächst wieder nach Deutschland zu gehen, um, wenn ihre dortigen Erfolge seinen Erwartungen entsprächen, sie später für das k. k. Hofburgtheater engagiren zu können. In der That war der Erfolg, den Fräulein Wolter in Berlin an dem Victoriatheater, namentlich als Herinione in Shakespeares Wintermärchen, errang, ein so durch­greifender, dass von diesem Zeitpunkt an Fräulein Wolter zu den bedeutendsten Künstlerinnen Deutschlands gezählt werden konnte. Nach einem einjährigen Engagement bei dem Thaliatheater in Hamburg, welches dazu beitrug, ihren Ruhm zu erhöhen, berief sie Laube an das Burgtheater, wo sie der Liebling und Stolz des Publikums ist.

Fräulein Wolter hat namentlich vielen Hebelschen und Grill- parzerschen Gestalten eine für immer massgebende Erscheinungs­form gegeben und ihre Darstellungen in Shakespearischen, Schiller- schen und Götheschen Frauenrollen, für welche in den grössten Künstlerinnen Deutschlands bereits Vorbilder existirten, zeigen doch eine vollendete charakteristische Eigentümlichkeit der Auffassung, die ihrem Spiel einen feinen ästhetischen Reiz verleiht. Der Ein­fluss des Fräulein Wolter auf das deutsche Drama wird aut lange Jahre hinaus ein sehr bedeutender sein, und stets wird Deutsch­land in ihr eine seiner grössten Künstlerinnen verehren.