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alle Ideale, das des Menschen, des Gedankens, des Staates, der Unsterblichkeit das Ideal des Weibes kennt er nicht. Die Lyriker besingen Alles, bis zu den olympischen Spielen und Siegern, aber die, denen sich zuletzt auch dieser Sieger gerne beugt, die Frauen, kennen sie nicht. Unter den großen und kleinen Theaterdichtern der alten Welt hat nur Sophokles eine Antigone; sie wissen alle das Weib nicht alsMotiv" zu verstehen und Zu benützen und darum sind uns ihre sonst so großen Dramen Früchte ohne Blüthen, kalt und klar, hart und historisch. Allerdings beginnt mit der germanischen Welt eine andere Zeit. Das Weib tritt in die Geschichte und ihre Poesie hinein; an der Schwelle derselben stehen Kriemhild und Brunhild, zwei Gestalten, wie sie die alte Welt nicht kennt, und Gudrun wird der Inhalt eines zwei­ten, nicht minder großen Epos. Dann kommen die Trou­badours und ihr Reflex bei den Deutschen, die Minnesänger; das Herz der germanischen Völker hat gefunden, was der Verstand der alten nicht gesehen hat, die Liebe als jenen machtvollen Factor, der die eine Hälfte des männlichen Lebens unbedingt beherrscht, um die andere glücklich oder unglücklich zu machen; und von da an wird die Ehe der Inhalt aller Kämpfe, in denen das Individuum mit den individuellen, ja mit den gesellschaftlichen Verhältnissen ringt. Das Pathos ist aus dem rein männlichen ein halb weibliches geworden; der Mann, der früher sein Leben und seine höchste Kraft nur dem Staate geweiht, lernt für die Frau nicht bloß fühlen und leben sondern auch sterben, und die Poesie des achtzehnten Jahrhunderts bedeckt das Grab aller Werthers mit den herrlichsten Blumen des Liedes und des Trauer-