Die Fabricationsfortschritte der Gusspiegel-Erzeugung bestanden zunächst in einer Vereinfachung des Betriebes, indem früher das Glas, bevor es gegossen werden konnte, aus dem Hafen in eine Klär­wanne umgeschöpft werden musste, demnach eine Operation, die denselben Zweck verfolgte wie die früher geschilderte Frittung des Hohlglases. Es war später ein wesentlicher Fortschritt, dass der Guss direct aus dem Hafen erfolgen konnte, zu welchem Zwecke derselbe durch einen Krahn gehoben wird; welche Zeitersparnis hiedurch erzielt wird, geht daraus hervor, dass das Glas früher 16 Stunden in den Schmelz- und 16 Stunden in den Giess- oder Klärhafen (in den letzteren zur Läuterung) ge­schmolzen werden musste. Die jetzige Methode reducirt die Schmelze nicht blos auf die Hälfte der Zeit, sondern bringt naturgemäss auch eine grosse Ersparnis an Brennmaterial mit sich. Durch diese grossen Fortschritte, sowie die noch zu schildernde Umgestaltung der Schleif- und Polirvorrichtungen konnten die Preise für Spiegelglas ermässigt werden: während z. B. im Jahre 1805 eine Tafel von 4m 2 aus der berühmten französischen Fabrik von St. Gobain 1245 Frcs. kostete, werthete die gleiche Tafel im Jahre 1889 nur mehr i 36 Frcs. (dieselbe Tafel stellte sich im Jahre 1702 auf 2750 Frcs., im Jahre 1802 auf 3644 Frcs.); so kostete im Jahre 1873 eine Tafel von 1 om 2 noch 1200 Frcs., während sie 1889 nur auf 467 Frcs. zu stehen kam.

Ebenso wuchsen die Scheibendimensionen in Folge der immer mehr um sich greifenden Grössen der Auslagefenster, welche eine Signatur unseres grosstädtischen Lebens sind, an. So erzeugte St. Gobain Guss-Spiegeltafeln von 8 m Höhe und 4'/ + ra Breite, demnach 34 m 2 Fläche. Tafeln von solchen Dimen­sionen können in Oesterreich allerdings noch nicht hergestellt werden; für die neue Fabrik zu Stankau ist die Anfertigung von Scheiben bis zu 22 m 2 Fläche in Aussicht genommen.

Die Schleif- und Polirapparate für Tafeln solcher Dimensionen mussten naturgemäss gleichfalls grosse Verbesserungen erfahren. In früheren Zeiten waren diese Apparate für geblasene und gegossene Spiegel fast die gleichen. Die Schleif- und Polirwerke wurden meistentheils durch Wasserräder von sehr primitiver Construction betrieben, wie man sie noch heute im Bairischen und Böhmerwalde findet. Eine bedeutende Förderung erfuhren dann die Schleifvorrichtungen durch die Einführung von Dampf­maschinen, die schon in den Zwanzigerjahren unseres Jahrhunderts in der kaiserlich russischen Spiegel­fabrik Verwendung fanden. Die Dampfkraft hat seither für das Poliren von Gusspiegeln den Wasser­motor fast gänzlich verdrängt. Die erste Construction einer solchen Maschine für das Rauhschleifen, die sogenannte Fliegrahmenmaschine, soll von James Watt herrühren. Zum Klarschleifen führte Crosslev 1857 in England eine Maschine ein; später wurden Maschinen, auf denen sowohl Rauh- als auch Klar­schleifen möglich war, construirt.

Der Betrieb einer Spiegelglasfabrik erfordert ein sehr grosses Investitions-Capital und eine technisch vollendete Manipulation. Der Gussprocess selbst muss ungefähr innerhalb 5 Minuten vollendet sein und bietet ein spannendes Bild, das von Cochin in seiner Geschichte von St. Gobain treffend ge­schildert wurde.

Die letzte Manipulation, die beim Spiegelglas in Betracht kommt, ist das Belegen. Im Mittelalter waren Zinn- und Bleibeläge üblich, häufig wurde der Belag auch dadurch erzielt, dass man der glühenden Glasblase durch die Pfeife eine Mischung von Blei und Antimon zusetzte; später wurde der Quecksilber­belag allgemein herrschend, doch da derselbe leicht schwere sanitäre Nachtheile für die hiebei beschäf­tigten Arbeiter mit sich bringt, war der Ersatz des Quecksilbers durch ein minder gefährliches Metall sehr erwünscht; als solches wurde das Silber durch Drayton im Jahre 1843 eingeführt. Der Silberbelag Draytons hatte jedoch nicht die nothwendige Dauerhaftigkeit; erst durch die Bemühungen von Liebig, Petitejean, Böttger, Pohl und Martin erfuhr er solche Verbesserungen, dass er mit dem Quecksilber­belag zu concurriren vermochte. Durch die Verbilligung des Silbers nahm der Silberbelag einen grossen Aufschwung; aus hygienischen Rücksichten wäre die vollständige Verdrängung des Quecksilbers durch das Silber wünschenswerth. Auch Gold- und Platinspiegel wurden erzeugt, doch spielen dieselben nur eine Nebenrolle. Gold- und Silberbelag war übrigens schon den Römern bekannt.

Im Anschluss an das Spiegel-Gussglas sei noch das Dach- oder Schnürl-Gussglas erwähnt, welches eine Stärke von mindestens 56 mm besitzt und zur Herstellung von Oberlichten dient. Das Schnürl-Gussglas wurde bis vor einigen Jahren grösstentheils aus Deutschland bezogen, bis die Firma

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