Das eigenthümliche Recept des Theophilus und Heraclius, das Glas zum Schliffe dadurch tauglicher zu machen, dass man es im warmen Blut frisch geschlachteter Böcke erweicht, die sogar früher mit Epheu gefüttert werden müssen, ist wohl hiedurch überflüssig geworden. Allerdings wäre dem böhmischen Glase für den Schliff auch noch gegenwärtig eine weichere Zusammensetzung zu wünschen ; das französische und englische Glas ist wegen des dort üblichen Bleizusatzes weicher und in Folge dessen für den Schliff geeigneter wie das harte böhmische. Ueberdies waren auch die Schleifwerkzeuge in England wesentlich bessere und mussten im Anfänge unseres Jahrhunderts von den böhmischen Glasschleifern aus England bezogen werden, um dem englischen Schliff nahezukommen. Josef Hansel in Haida hat sich auf diesem Gebiete durch Einführung des englischen Brillantschliffes in Böhmen grosse Ver­dienste erworben; in neuerer Zeit hat Franz Kreybich in Haida mannigfache Verbesserungen an Schleif­werkzeugen angebracht.

Die verschiedensten Arten von Scheiben werden verwendet um den Schliff zu einem vollendeten zu machen und das Grobschleifen, Feinschleifen sowie das Poliren zu besorgen. Als neuartige Scheiben sind solche aus Carborundum zu erwähnen, die jedoch nur vereinzelt Anwendung gefunden haben. Die verschiedensten Arten des Schliffes sind auch noch heute in Uebung, vom schweren, aus England importirten Brillantschliff an bis zum Muschel-, geschälten, Walzen-, matten und Silberschliff.

Auch der Glasschnitt machte in der zweiten Hälfte unseres Jahrhunderts die gleichen Ver­änderungen wie der Glasschliff durch. Die zahlreichen Scheiben, die bis zur Grösse eines Nadelkopfes herabgehen, werden in industriellen Etablissements gleichfalls durch den Dampf in Bewegung gesetzt und das Glas mit den mannigfachen Schnittgattungen, mit Guirlanden, Blumen, Figuren u. s. w. fabriks- mässig verziert, während gleichzeitig die alten hausindustriellen Schleifzeuge auch auf diesem Gebiete noch in Thätigkeit sind ; das Graviren mit der Diamantspitze bietet technisch noch dasselbe Bild wie in früheren Zeiten, doch ist dieses Verfahren, das in Schlesien und Holland seine Blüthe erreichte, gegen­wärtig nur wenig geübt.

Die Signatur der neuen Zeit ist jedoch die Zurückdrängung des Schliffes durch andere Verfahrens­arten.. Schon die Einführung des Pressglases hatte dem böhmischen Schleifglase einen schweren Stoss versetzt und in den Zwanzigerjahren unseres Jahrhunderts eine förmliche Krisis verursacht. Die kleinen Wasser-Schleifmühlen mit nur einem Zeug gingen zumeist ein, viele werden seither für andere Zwecke als für die der Glasveredlung benützt. Das gepresste Glas mit seiner Schliff-Imitation engte das Gebiet des Schliffes für das gewöhnliche Glasgebrauchsgefäss zusehends ein. Seither sind der Schleifkunst in anderen mechanischen Decorationsmethoden neue, noch gefährlichere Gegner erwachsen. Selbst auf seiner eigensten Domäne sucht die Technik den Handschliff durch den Maschinenschliff zu ersetzen; sehr sinnreich construirte Glasabspreng- und Schleifmaschinen sind bereits vielfach im Gebrauche.

Weite Anwendung hat die sogenannte Guillochirung gefunden, die Glasschnitte mit einer viel grösseren Regelmässigkeit, als dies der menschlichen Hand möglich wäre, maschinell durchführt ; in neuester Zeit wird auch der sogenannte Pantograph zur Décoration benützt, der in der Form ganz freie Muster herzustellen in der Lage ist.

Eine ungleich grössere Bedeutung wie in früheren Zeiten hat ferner die Aetzung des Glases gewonnen. Heinrich Schwanhardt, Sohn des berühmten Glasschneidekünstlers Georg Schwanhardt, soll um 1760 durch Zufall die Kunst, Glas zu ätzen, entdeckt haben, indem ein Tropfen Scheidewasser auf seine Brille kam, wodurch dieselbe matt wurde. Trotzdem bereits 1771 Scheele in Stralsund das eigentliche Aetzmittel für Glas, nämlich die Flussäure, entdeckt hatte, dauerte es doch bis in die Fünfziger­jahre unseres Jahrhunderts, ehe ein geeignetes Aetzverfahren für Glas gefunden wurde. Der Engländer Breese Hess sich ein solches 1853 patentiren, aber erst durch die von Thessié de Matthay und Maréchal in Metz entdeckte Glasmattätze mittelst Fluorsalzen und durch Kessler in Boulay gewann die Aetze auf den französischen Fabriken Baccarat und St. Louis eine grosse Anwendung; Kesslers Verdienst ist es, den lithographischen und zinkographischen Glasdruck so vervollkommt zu haben, dass es durch denselben möglich war, den Deckgrund in den feinsten Mustern auf die Gläser zu bringen. Durch wiederholte Manipulation gelingt es, die Aetzung so zart oder so tief man will zu erzielen. Lange war dieses wichtige Decorationsverfahren als sogenannte «gravure chimique» französisches und englisches Monopol,

Die Gross-Industrie. II.

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