Bekanntlich sind diese Forderungen der modernen Socialpolitik noch gegenwärtig nicht verwirklicht, es ist daher um so bemerkenswerther, dass schon vor mehr denn hundert Jahren der Staat, wenn auch nur für einen kleinen Kreis von industriellen Arbeitern, in dieser Beziehung eine Abhilfe schaffen wollte.

Auch die ersten Anfänge von Fabriks-Sparcassen fallen in diese Zeit, indem der Kreishaupt­mann Staab des Piseker Kreisamtes im Jahre 1795 die Glashüttenmeister aufforderte, dahin zu wirken, dass die Gesellen, deren Verdienst damals monatlich 20 bis 3 o fl. betrug, 2 bis 5 fl. von diesem Gelde zurück­lassen, welche Beträge dann unter der Verwaltung eines Glashüttenmeisters zur Aushilfe für den Fall der Arbeitslosigkeit oder des Nothstandes unter den Glasmachern dienen sollten. Für den Fall des Absterbens sollten die Einlagen den Kindern zufallen und überhaupt die Gelder bei grösseren Einlagen nach Art der Waisencassen verwaltet werden. Die Landesregierung, der Staab seinen Vorschlag vor­legte, fand diese Einrichtung als sehr nützlich und empfahl sie wärmstens.

V. Die sociale Stellung der Glashüttenmeister und ihrer Arbeiter.

Das Glasmachergewerbe galt seit jeher als vornehme Kunst, als «ars vitraria nobilis». Die Neuschöpfung des Materials durch den Schmelzprocess aus Rohstoffen, wie Sand und Asche, die zu dem fertigen Producte anscheinend in gar keinem Zusammenhänge standen, musste in den Augen des Laien als etwas Wunderbares sich darstellen und demjenigen, der diese Kunst verstand, den Schein höherer, nur einem auserwählten Kreise zugänglicher Fertigkeiten verleihen. Dazu kam noch die künstlerische Ausbildung der Glasverarbeitung, die besonders in Venedig zu so hoher Blüthe gelangte; die Glas­künstler genossen denn auch daselbst ein besonderes Ansehen, wurden mit den Patriciern der Republik für gleichberechtigt gehalten und gleich dem Adel in ein eigenes goldenes Buch libro doro auf­genommen. Eine ähnliche Werthschätzung genoss die Glasmacherkunst auch in Frankreich, wo schon zu Ende des 14. Jahrhunderts Karl VI. den Glasmeistern besondere Privilegien verlieh, die sie mit den Edelleuten auf eine Stufe stellten, «weil sie ein von altersher als edel angesehenes Handwerk betreiben». Die französischen «gentilhommes verriers» sind eine interessante sociale Erscheinung, die in Frank­reich bis zur Revolutionszeit vertreten blieb. In Venedig adelte Glasmacherarbeit, in Frankreich ent- adelte sie nicht, und so sehen wir eine ganze Reihe von französischen Edelleuten sich diesem Berufe widmen.

In Deutschland und Oesterreich wird allerdings diese auszeichnende sociale Stellung seitens der Glasmeister nicht erreicht die Erhebung der Glasmeisterfamilien Schürer (später von Waldheim) und Wanderer (später von Grünwald) stellt sich als Ausnahmserscheinung dar es hängt dies damit zu­sammen, dass Jahrhunderte lang die Glastechnik in diesen Ländern auf keiner hohen Stufe sich befand und daher ihre Träger sich auch keines so grossen Ansehens erfreuen konnten wie beispielsweise die wirklichen Glaskünstler Venedigs. Ueberdies war der Gegensatz zwischen Adel und Bürgerthum in Oesterreich ein zu tiefgehender, um den «Arbeitsadel» als berechtigt erkennen zu lassen; eine solche Auffassung stand der feudalen Verfassung des Landes viel zu schroff gegenüber. So konnten sich nach dem Beschlüsse des böhmischen Landtages vom Jahre 1497, welcher durch den Majestätsbrief Wladislaw II. bestätigt wurde, neu geadelte Inländer des Ritterstandes erst dann bedienen, wenn sie landtäfliche Be­sitzer geworden waren; überdies sollten sie von ihrer bürgerlichen Beschäftigung und vom Handwerke ablassen (s. Grünberg, Studien zur österreichischen Agrargeschichte, Jahrbuch für Gesetzgebung und Ver­waltung, 21. Band, x. Heft). Trotzdem genossen die Glasmeister auch bei uns eine angesehene und im Vergleiche zu anderen Berufszweigen bevorzugte Stellung; sie sitzen auf ihren Hütten entweder als Eigen- thümer oder als Pächter; doch stets sind sie freie Leute, die sich selbst gegenüber ihren Pacht­herrschaften einer gewissen Selbstständigkeit erfreuen. So finden wir schon im 16. Jahrhundert Bevor­zugungen von Glashüttenmeistern bezüglich des Heimfallsrechtes, das sonst nach ihrem Tode zu Gunsten der Herrschaft bezüglich der Glashütten eingetreten wäre, und zwar ist es zuerst Wilhelm von Rosenberg, der 1591 den schon erwähnten Spiegelglashüttenbesitzer Sigmund Steger von «der Bürde des Todten- fahls» befreite. Eine gleiche Bevorzugung finden wir im 17. Jahrhundert seitens des Fürsten Eggenberg für den Hüttenmeister der Kaltenbrunnerhütte. Das Recht des Holzschlages für die Glasöfen und für

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