Wechselverkehre kam und ein eigentlicher Standesunterschied sich in dem Bewusstsein der Betheiligten gar nicht festsetzen konnte. Die Hohl- und Tafelglas-Industrie hat mit dem sogenannten industriellen Prole­tariat stets wenig zu thun gehabt, denn in ihr sind zum grössten Theile nur gelernte Arbeiter thätig, die zur Ausbildung ihrer Geschicklichkeit einer längeren Lehrzeit bedürfen, und deren Einkommen, auch bei den ge­genwärtigen höher gestellten Ansprüchen der industriellen Arbeiterclasse, als ein befriedigendes gelten kann.

Der Eintritt in die Fabrication erfolgt meistens mit dem vollendeten 14. oder 15. Lebensjahre, durch 23 Jahre fungirt der Eingetretene dann als sogenannter Eintragbub, dessen Beschäftigung darin besteht, dem Glasmacher während des Blasens die Form zu halten und das fertige Glasstück in den Kühlofen zu tragen. Hierauf avancirt der Einträger zum Gesellen und wird dadurch eine bei dem Her- stellungsprocess direct betheiligte Hilfsperson des sogenannten Glasmachermeisters, des vollgelernten Glasbläsers, der selbst vom Glashüttenmeister, dem Besitzer oder Pächter der Hütte, zu unterscheiden ist. In dieser Stellung verbleibt der Geselle gewöhnlich bis zum 3 o. Jahre, in welchem er selbst seine eigene, sogenannte Werkstätte erhält, Glasmachermeister wird. Dieser Uebergang war früher von mannig­fachen Ceremonien des Freisprechens, sowie Herstellung des Meisterstückes begleitet, w r elche Gebräuche erst in der neueren Zeit geschwunden sind.

Diese fast sichere Carrière, die den Glasmacheranfängern vom Eintragbuben bis zum Glasmacher­meister offen steht, ist ein wichtiges Element des socialen Friedens im Stande der Glas­arbeiter. Der Nettoverdienst eines Glasmachermeisters schwankt zwischen 60 und 100 fl. monatlich, übersteigt aber in nicht allzuseltenen Fällen diese Grenze noch beträchtlich, so dass die Glasmacher zu den gutsituirten Arbeiterkategorien gezählt werden können. Die sichere Aussicht, eine Werkstätte zu bekommen und Glasmachermeister zu werden, lässt in dem Glasmachergesellen die Gefühle der Zurücksetzung und Verbitterung, die mit der trostlosen Lage in manchen Industrien verbunden sind, nicht aufkommen.

Der Glasarbeiterstand als solcher zeichnet sich im Allgemeinen durch Intelligenz, Strebsamkeit und manuelle Fertigkeit aus, welche Vorzüge mit einem gewissen Arbeitsstolz Hand in Hand gehen. Das frühere nomadenhafte, durch die fortwährende Wanderung der Hütten bedingte Leben hat sich der Glasmacher zum grossen Theile abgewöhnt; er ist vollkommen sesshaft geworden, besitzt meistens sein eigenes Haus sammt kleiner Oekonomie und ist im Orte, wo er lebt, gewöhnlich eine angesehene Person.

Naturgemäss hat es an Reibungen zwischen Glasarbeitern und Glashüttenbesitzern nicht gefehlt, doch die wenigen, die uns aus früheren Zeiten bekannt sind, lehren, dass im Allgemeinen das gegen­seitige Verhältnis ein ungestörtes und einträchtiges war.

Nicht so günstig ist die Lage des Veredelungsgew r erbes, besonders dort, w r o dasselbe haus­industriell betrieben wird. Eine das Maass des Zulässigen oft übersteigende Arbeitszeit und ungenügende Entlohnung bilden auch hier, wie in so vielen anderen Fällen, die Signatur der hausindustriellen Thätig- keit, wenn auch diese Uebelstände auf dem Gebiete der Hohlglas-Raffinerie nur gemässigt zum Vor­schein kommen und sich dieselbe von anderen Hausindustrien diesbezüglich vortheilhaft unterscheidet. (Die Glaskurzwaaren-Industrie liegt ausserhalb des Rahmens unserer Betrachtung.) Die auf den Glas­fabriken selbst beschäftigten Schleifer und Maler sind im Allgemeinen günstiger gestellt, denn sie haben ejne fest bemessene Arbeitszeit und höhere Löhne, als in der Hausindustrie üblich sind. Naturgemäss ist die Concurrenz für jene Fabriken, welche das Glas selbst raffiniren, gegenüber der hausindustriellen Raffinerie keine leichte, umsomehr als die Raffinirung in höherem Maasse von der Mode abhängig ist und Perioden der stärkeren Beschäftigung solche des Stillstandes zu folgen pflegen.

Hauptsitze der Hohlglas-Raffinerie sind heute noch die Orte Haida und Steinschönau in Nord­böhmen, die sich durch ihren Unternehmungsgeist und ihre Betriebsamkeit seit ihrem Bestände aus­zeichnen; es ist ein Bild des regsten industriellen Schaffens, das diese Orte und ihre Umgebung zeigen. Es wäre nur zu wünschen, dass die Chancen für die Glasraffinerie sich in Zukunft günstig gestalten und Raffineuren wie Arbeitern einen ausreichenden Verdienst ermöglichen möchten.

VI. Die kunstgewerbliche Entwicklung.

Der Blüthe der böhmischen Kunstglas-Industrie, die fast durch zwei Jahrhunderte angedauert hatte, folgte eine Periode des Stillstandes, welche die ersten Decennien unseres Jahrhunderts umfasste.

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