Wenn ein einheitliches Ziel aus den Augen geschwunden war, wenn man auf jene Eigenschaften, die das böhmische Glas in der Welt berühmt gemacht, nicht mehr das Hauptgewicht legte, war es nur eine selbstverständliche Folge, dass der grosse Export, der schon unter der allgemeinen Depression zu Beginn unseres Jahrhunderts erheblich zu leiden hatte, beständig abnahm. Um ihn wieder zu heben, sann man auf Neuerungen, die jedoch nur von vorübergehendem Werthe waren. Am entscheidendsten hat wohl Friedrich Egermann in Haida (17741864) eingegriffen, theilweise auch nicht ohne Erfolg, indem er immer neue Farbennuancen dem Glase zu geben bemüht war; doch seine schweren geschliffenen Gläser, die eher aus Serpentin und anderen undurchsichtigen Gesteinarten gedreht erscheinen, denn aus Glas gemacht, vermochten nur einer vorübergehenden Mode zu genügen, nicht jedoch eine dauernde Besserung zu erzielen. Der Zug der Zeit, der maschinelle Erzeugnisse in unbegrenzter Wiederholung auf den Markt warf, die dem Spiessbürger vollauf genügten, war ja dem Kunstgewerbe überhaupt nicht sonderlich günstig; die frühere Tendenz, welche die «Manufactur» im buchstäblichen Sinne des Wortes, nämlich die Handarbeit subjectiv und abwechslungsvoll zu gestalten wusste, begegnete keinem grossen Verständnisse. Doch wenn der sparsame Bürger der Biedermeierzeit, die in ihrem nüchternen Sinne auch praktische Gefässformen zu erfinden wusste, sich schon den Luxus einer besonderen Ausgabe gönnte, dann sollte auch das gekaufte Object möglichst viel repräsentiren, dann sollte es «nach was aussehen».

Diesen Gesichtspunkten entsprechen am besten die in unseren Augen am meisten geschmacklosen Producte der vormärzlichen Zeit, die Ueberfanggläser, und wir bedauern nur, dass so viel Mühe und auch etwas Geschicklichkeit an derartige Stücke verschwendet wurde. Man konnte sich zwar auf ein überaus vornehmes Vorbild berufen, auf das grossartigste Glasgefäss des classischen Alterthums, auf die im Britischen Museum befindliche Portlandvase, die zu keiner anderen Zeit so populär war; auch diese ist ja ein Ueberfangglas, aber veredelt von der Hand eines der grössten Glasschneider aller Zeiten, während die einfach oder doppelt überfangenen Arbeiten der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts in erster Reihe gekugelt oder geschlägelt wurden. Und wollte man etwas besonders Grossartiges erzielen, dann wurden die gekugelten Ueberfanggläser obendrein noch bemalt und vergoldet, womit man das Non plus ultra erreicht zu haben glaubte.

Auf diesem keineswegs allzu stolzen Niveau befand sich die Glasdecoration beim Regierungs­antritte unseres Kaisers, und als drei Jahre darauf, bei der ersten Weltausstellung von London 1851, die internationale Musterung gehalten wurde, konnte man über die Neuerungen nicht besonders erbaut sein. Statt der prächtigen geschnittenen Pocale im schönsten Renaissancestil sah man jetzt nur schwer­fällige brillantirte Flaschen oder unbeholfene Ueberfanggläser. Und dieses Bild änderte sich auch nicht wesentlich auf den folgenden Weltausstellungen von Paris (1855) und London (1862).

Da man im Norden der Monarchie die ehedem siegreiche Fahne verlassen hatte und mit sprunghaften Versuchen nach vorübergehenden Erfolgen haschte, war die Zeit für den Süden gekommen, sich wieder aufzuraffen und mit seinen Kunstprincipien einen neuen Eroberungszug vorzubereiten. Venetien war damals noch österreichisch, als sich Dr. Salviati 1859 der Glas-Industrie zuwandte und dem alten Ruhme der Erzeugnisse von Murano einen neuen Glanz zu verleihen sich anschickte. Bei der Pariser Welt­ausstellung des Jahres 1867 paradirten bereits die noch etwas ungelenken Salviatigläser, aber man merkte schon, dass in ihnen ein gefährlicher Concurrent entstanden sei. Jedoch bei derselben Ausstellung sah man auch schon, dass sich auch sonst die Glasdecoration wieder ihrer rühmlichen Vergangenheit zu besinnen begann und in die dadurch vorgezeichneten Bahnen einzulenken strebte.

Das unklare Stilgemisch, die ewig tastenden Versuche, einen neuen Stil zu finden, hatten zu keinem befriedigenden Resultate geführt, und man ward bereits sehr ungeduldig. Da sich ein selbständiger Ausdruck für das ästhetische Empfinden der Zeit nicht recht herausbilden will, gewinnt die stets latente conservative Richtung immer mehr die Oberhand und gelangt bis in unsere allerjüngste Zeit zur unbedingten Herrschaft. Die Wiederbelebung der Renaissance, der Barocke, des Rococo und des Empire hat zwar die Stilbildung des 19. Jahrhunderts um Jahrzehnte aufgehalten, dagegen aber durch das Zurück­greifen auf anerkannt gute Vorbilder alle kunstgewerbliche Thätigkeit von vielen Sinnwidrigkeiten und Geschmacklosigkeiten befreit und für eine gedeihlichere Weiterentwicklung eine neue, günstigere Basis geschaffen.

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Die Gross-Industrie. II.

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