Zumal in der Glasdecoration ist das Sichbesinnen von der allergrössten Wichtigkeit gewesen, da man gar nicht sagen könnte, auf welche Abwege wir durch die Ueberfanggläser noch gekommen wären. Die hervorragendste Bedeutung nicht nur für Oesterreich, sondern für die Culturwelt überhaupt gebürt auf unserem Gebiete dem Eingreifen von Ludwig Lobmeyr in Wien, der in Wort und That für seine Anschauungen mit der grössten Entschiedenheit eintrat und durch eine dauernde Verbindung mit den besten Glasdecorateuren aller Gaue Oesterreichs diesen Erzeugnissen und damit auch der heimischen Glas-Industrie neuerdings einen Weltruhm zu erobern wusste. Obwohl Böhmen, und zwar sowohl Nord­böhmen mit seinen Hohlglas-Raffinerien der Haidaer Gegend oder der Riesengebirgsausläufer, als auch der Böhmerwald noch immer, wie von altersher, an der Spitze schreitet, ist doch die Glas-Industrie und mit ihr die Glasdecoration auch in den anderen Kronländern schon so weit erstarkt, dass auch dort deren Leistungen volles Lob verdienen. Wenn wir die Firmen Bakalovits, Graf Harrach, Meyrs Neffe, Reich, Riedel, Schmid, Schreiber & Neffen oder Stölzles Söhne nennen, ist damit die Liste jener Persönlichkeiten, die hauptsächlich im Sinne Lobmeyrs auf die österreichische Glasdecoration von wichtigem Einflüsse gewesen sind, keineswegs erschöpft. Es war geradezu überraschend, dass das Experiment, den Glasschnitt und die gute Glasmalerei wieder zu Ehren zu bringen, einen solchen Erfolg hatte, und dass man noch genug tüchtige Kräfte fand, welche die alte Technik wieder in voller Meisterschaft auszuüben im Stande waren. Dass es an dem entsprechenden Nachwuchse nicht fehlen wird, dafür lassen wir ruhig die bewährten k. k. Fachschulen in Haida und Steinschönau sorgen, die unablässig bemüht sind, technisches Können und künstlerischen Geschmack in ihrem Wirkungsbereiche nach besten Kräften zu steigern.

Neuere Errungenschaften unserer Zeit haben die alten Hilfsmittel des Decorateurs nicht unwesent­lich erweitert. Das amerikanische Sandstrahlgebläse hat allerdings mehr Schaden als Nutzen ange­richtet, indem es der dutzendweisen Herstellung ordinärer Jahrmarktwaare Vorschub leistete; noch schlimmer ist es mit der Kautschukstempel-Aetzung bestellt, die die Surrogatwirtschaft ins Ungemessene steigern könnte. Aber auch im guten Sinne hat sich der Horizont der Glasveredlung erweitert; im Ueberfang ist ein hoher Grad erreicht, die Scala der Farbengläser, namentlich in discreteren Tönen, ist wesentlich bereichert worden; der allmälige Farbenanflug und der Irisglanz ist ebenfalls gewonnen, ebenso das übersponnene oder guillochirte Glas, und mit jedem Jahre tritt fast eine neue Spe- cialität auf, die der Glasdecoration gute Wirkungen ermöglicht.

Ausgerüstet mit einer derartigen vollkommenen Beherrschung der verschiedensten Decorations- methoden hat unsere Glas-Industrie gerade in diesen Tagen noch einen schweren Kampf zu bestehen, um durch den Läuterungsprocess der letzten drei Decennien von früheren Auswüchsen befreit einen einheitlichen, selbständigen Ausdruck für das ästhetische Glaubensbekenntnis der Neuzeit zu finden. Hoffentlich verfällt hiebei die österreichische Production nicht wieder, wie schon einmal in diesem Jahrhundert, in eine verderbenbringende, gedankenlose Nachahmung fremdländischer Sensationserzeugnisse, die ihrem Wesen und innerstem Charakter vollständig widersprechen.

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Von einem geschnittenen Rococo-Flacon. (Reichenberg, N.-B.-G.-M.)

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