DIE OESTERREICHISCHE B AU MWOLL-INDUSTRIE.

as Schicksal der Baumwolle in Oesterreich ist ein recht merkwürdiges und für die industrielle Entwicklung typisches. Die fremde Textilfaser hatte bei ihrer Einführung die grössten Schwierigkeiten zu überwinden, die je einen Rohstoff an der allgemeinen Verwendung hinderten, und dennoch vollendete ihre Verarbeitung am raschesten und sichersten den Siegeslauf zur modernen Grossindustrie. Diese Erscheinung erklärt die Wirthschaftspolitik der früheren Zeit mit ihren beiden Grundpfeilern: dem Mercantilismus und dem Zunftwesen.

Die österreichischen Mercantilisten mit Philipp Wilhelm von Hörnigk an der Spitze kündigten der Baumwolle offene Fehde an, weil sie die heimische Flachsfaser verdränge; ihrer Ansicht nach war es doch vortheilhafter, »für eine Waare zwei Thaler (zu) geben, die im Lande bleiben, als nur einen, der aber hinausgeht«. So wurde denn die Baumwolle zuerst mit vollständigem Einfuhrverbot belegt, später mit mehr oder weniger hohen Zollsätzen belastet und erst im Jahre 1853, zu einer Zeit, da die österreichische Baumwollindustrie bereits in Blüthe stand, wurde sie völlig freigegeben.

Dieses äussere Hindernis wurde aber mehr als aufgewogen durch einen inneren Vortheil. Alle anderen Erwerbszweige waren zünftig organisirt und jede aufstrebende Grossindustrie hatte den härtesten Kampf mit dem gleichartigen zünftigen Handwerk zu bestehen. Die Baumwolle als fremdes Product umgieng diese Schwierigkeit, ihre Verarbeitung setzte sofort als freie Industrie ein, und so kam es, dass die Baumwollindustrie die erste Grossindustrie wurde und durch ihr Beispiel die Bahn ebnete für die gesammte industrielle Entwicklung Oesterreichs.

Wie so oft im wirthschaftlichen Leben, hat auch bei der Einführung der Baumwolle der gesunde Vortheil den Sieg davongetragen, indem er Unrecht mit Unrecht schlug. Die Leinenweberzünfte im Riesen­gebirge hatten durch ihre nachbarlichen Beziehungen zu Schlesien die Baumwolle frühzeitig kennen gelernt, schmuggelten sie ein und verwebten sie mit Leinen; die Zunftstatuten lassen das deutlich erkennen. Ein­gebürgert aber wurde sie erst nach dem Frieden von Passarowitz (1718), der die Türkei unseren Handels­beziehungen eröffnete. Die 1719 errichtete »kaiserlich privilegirte Orientalische Compagnie« war die mächtige Förderin des Orienthandels; der wichtigste Artikel für die Stückfracht aus der Levante war aber damals Baumwolle. ] ) Macédonien und Kleinasien mit den nahen Inseln lieferten zu jener Zeit die meiste Baumwolle überhaupt und der damalige Baumwollmarkt war nicht wie heute Liverpool, sondern Wien, von wo durch Vermittlung griechischer Kaufleute auch ganz Deutschland, die Schweiz u. s. w. mit diesem Rohmaterial versorgt wurden. 2 )

') Dr. Franz Martin Mayer, Die Anfänge des Handels und der Industrie in Oesterreich und die orientalische Compagnie. Innsbruck 1882, S. 76.

2 ) Stefan Edler v. Keess, Darstellung des Fabriks- und Gewerbewesens in seinem gegenwärtigen Zustande. I. Theil. Wien 1824, S. 114.

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