In diese Zeit fällt auch die Errichtung der ersten Baumwollfabriken in Oesterreich, welche nach dem speciellen Fabrikate Barchent-, Zitz-, Cottonfabriken u. s. w. genannt wurden. Die erste »Barchent- uncl Canevasfabrik« wurde in der Nähe von Graz im Jahre 1721errichtet. 1 ) Im Jahre 1723 schuf der Wirthschaftsdirector auf der Gallasschen Herrschaft Grafenstein bei Grottau in Böhmen eine »Tuch-, Zeug-, Strumpf- und Canevasfabrik« und erlangte für dieselbe ein zwanzigjähriges Privilegium; im Jahre 1725 wurde aber das Etablissement wieder aufgelassen. Die orientalische Compagnie gründete selbst eine »Zitz- und Cottonfabrik« bei Schwechat, welche ein Privilegium auf 15 Jahre erhielt und qualitativ und quantitativ Vorzügliches leistete. 2 ) Da die obgenannten beiden Fabriken sich nur eines kurzen Daseins erfreuten, galt die Schwechater als die älteste Kattunfabrik in Oesterreich und die Mutter aller übrigen. 3 )

Im Verlaufe des XVIII. Jahrhunderts entstanden in Niederösterreich noch fünf grosse Fabriken, welche mit der vorigen als die »sechs k. k. priv. Ziz- und Kattunfabriken« bezeichnet wurden, nämlich die von Ebreichsdorf (in den Siebzigerjahren von Freiherrn v. Lang begründet), Kettenhof (1770 von Graf Cajetan von Bliimegen), Friedau (in den Siebzigerjahren von Renke & Fries), St. Pölten (1787 von Renke) und Himberg (circa 1790 von Johann Bouvard zuerst in Enns errichtet). In den übrigen Grönländern waren die grössten Fabriken Josephsthal und Cosmanos (1763 von Graf Josef Bolza, später von Franz Leitenberger), Wernstadtl (1770 von Johann Josef Leitenberger), Neu-Reichstadt (1788 von Josef Leitenberger & Söhne), Graz, Althart und Ingrowitz in Mähren, Sassin in Ungarn (1736), Mailand (Kramer & Co.) etc. Gross war auch die Zahl der kleinen Druckereien in Niederösterreich (Steinabrückl, Erlaa, Neunkirchen, Perchtoldsdorf, Atzgersdorf) und im nördlichen Böhmen.

Einen besonderen Aufschwung hatte die Industrie der Kaiserin Maria Theresia zu verdanken, welche nach den unglücklich verlaufenen schlesischen Kriegen eifrig bedacht war, durch Förderung von Handel und Industrie sich in Böhmen einen Ersatz für das verlorene blühende Schlesien zu verschaffen. Da die ausschliessenden Privilegien der alten Fabriken zu Schwechat und Sassin im Jahre 1762 abliefen, erliess die Kaiserin an die Repräsentationen in Böhmen, Mähren, Schlesien und Glatz ein Rescript, worin sie ankündet, dass mit Beginn des Jahres 1763 die Kattunfabrikation jedermann freistehen wird, während das Einfuhrverbot fremder Kattune nach Oesterreich wie bisher aufrecht bleibt. 4 ) Die Folge davon war eben die erwähnte resre industrielle Thätio-keit.

Wie schon der Name besagt, lag die Hauptthätigkeit der sogenannten Kattunfabriken in der Vollendung des Ganzfabrikates. Eine Theilung der industriellen Arbeit im modernen Sinne, in Form einer selbständigen Spinn-, Web-, Druckindustrie etc. gab es nicht, sondern die Fabrik vereinigte alle die Vorbereitungsstadien der Baumwolle in ihrer Hand. Ihr »Werkamt« besorgte den Einkauf der rohen Baum­wolle selbst, gab sie den »Factoren«, welche sie an die Dorfbevölkerung zum Verspinnen im Hause ver­theilten, übernahm die fertiggestellten Garne, Hess diese gleichfalls auf dem Wege der Hausindustrie ver­weben und gab erst das fertige Gewebe an die eigene Fabrik zur weiteren Behandlung ab.

Um die Wende des Jahrhunderts erhob sich zunächst die Baumwollweberei zur selbständigen Industrie, indem die Weber die Garne für eigene Rechnung kauften und die Gewebe an die Fabriken ablieferten. Solcher Webereien gab es zahlreiche in Niederösterreich und im nördlichen Böhmen, doch werden auch in Oberösterreich, Mähren, Tirol und Vorarlberg mehrere Unternehmungen genannt. Wie stark übrigens anfangs dieses Jahrhunderts das Handwerk über die fabriksmässige Erzeugung die Oberhand hatte, beweist eine Statistik von Niederösterreich aus dem Jahre 1811, wonach man 20 Baumwollwaaren- fabriken aller Art mit 584 Stühlen, 559 »Fabrikanten« mit 1323 Stühlen und 1533 Meister mit 3168 Stühlen zählte. 5 )

In der Spinnerei brachte die Umwälzung die Maschine. Schon Ende des vorigen Jahrhunderts hatte man vielfache Versuche mit der deutschen oder sächsischen Maschine unternommen, doch erst, als es Johann Josef Leitenbengep gelang, auf dem Wege über Kopenhagen das ängstlich gehütete Geheimnis der englischen Spinnmaschine nach Oesterreich zu bringen, war der Grund zu einer neuen Entwicklungs­phase gelegt. Im Jahre 1797 erstand die erste englische Spinnerei zu Wernstadtl in Böhmen, 1799 folgten Cosmanos und Reichstadt, 1801 Tetschen und Rothenhaus, 1801 Pottendorf in Niederösterreich und bald

') Dr. Hermann Hallwich, Firma Leitenberger 17931893. Eine Denkschrift. Prag 1893, S. 8 f.

-) Mayer, a. a. O., S. 59.

3 ) Keess, a. a. O., II. Theil, I. Bd., S. 203.

J ) Hallwich, a. a. O., S. 23.

; ) Keess, a. a. O., II. Theil, I. Bd., S. 187 f.

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