IC. K. PRIV. POTTENDORFER

BAUMWOLLSPINNEREI UND ZWIRNEREI

WIEN, POTTENDORF UND ROHRBACH A./ST.

m Jahre 1800 beschlossen die Herren Fürst Franz Gundaker zu Colloredo-Mansfeld und Fürst Josef zu Schwarzenberg einen bis dahin in Oesterreich noch nicht eingebürgerten Industriezweig einzuführen: eine Baumwollspinnerei auf Maschinen nach englischer Art. Die Genannten waren Oberdirectoren der damaligen octroyirten Commerzial-Feih- und Wechselbank in Wien. Um ihre Absicht zu verwirklichen, schlossen sie im Namen der Bank und als deren Vertreter am 28. Februar 1801 mit Herrn John Thornton aus Yorkshire in England einen Vertrag ab, nach welchem Letzterer beauftragt wurde, an einem passenden Orte Niederösterreichs eine Spinnerei zu erbauen und die erforderlichen Maschinen zu construiren. Die Erstgenannten erwarben gleichzeitig ein Landesfabriks-Privilegium, das sammt allen sonst erworbenen Rechten laut Fundationsvertrag vom 1. Mai 1802 an eine zum gedachten Zwecke gebildete Gesellschaft von 13 Theil- nehmern übertragen wurde.

Als Standort der Fabrik wurde der Markt Pottendorf in Niederösterreich gewählt, woselbst die Flüsse Leitha und Fischa die für den Betrieb wünschenswerthen Wasserkräfte darboten. Um das Gefalle der Fischa, welche noch den besonderen Vortheil der Eisfreiheit besitzt, auszunützen, wurde ein 5860 Meter langer Canal von Landegg nach Pottendorf geführt und bei Wampersdorf wieder in die Leitha geleitet. Dadurch wurde ein Gefalle von circa 7Y4 Meter gewonnen und nutzbar gemacht.

Nach den vorhandenen Aufschreibungen waren in der neuen Fabrik zu Anfang des Jahres 1805 bereits 18.432 Mule- und Drossel-Spindeln in Gang, welche Anzahl im Jahre 1830 auf 47.304 stieg.

Vom Jahre 1841 bis 1846 wurde das Etablissement einer gründlichen Reorganisation unterzogen. Die Wasser- und Dampfmotoren wurden erneuert, die Spindelzahl auf 52.398 erhöht, sechs Zwirnmaschinen in Betrieb gesetzt und eine Garnbleicherei errichtet.

Im Jahre 1856 erwarb die Gesellschaft die an ihr Etablissement anstossende Flachsspinnerei der Herren Constantin Freiherr von Reyer und Simon Freiherr von Sina, wodurch ihr der grosse Vortheil erwuchs, nun allein über das ganze Betriebswasser der Fischa verfügen zu können. In den neu erworbenen Gebäuden wurde 1857 eine mechanische Weberei mit circa 300 Webstühlen errichtet, welche 20 Jahre im Betrieb war. In demselben Jahre wurden auch 2000 neue Zwirnspindeln aufgestellt und zur Beleuchtung sämmtlicher Räume mit Steinkohlengas eine eigene Gasanstalt erbaut.

Die Garnproduction, welche vor der Reorganisation jährlich circa 250.000 Bündel ä 5 englische Pfund betragen hatte, stieg bis zum Jahre 1860 successive auf circa 580.000 Bündel, fiel während der Dauer des amerikanischen Bürgerkrieges auf 230.000 Bündel, um hierauf wieder die Höhe von durchschnittlich 600.000 Bündel zu erreichen.

Am 1. September 1871 erfolgte die Eröffnung der Eisenbahnlinie WienPottendorfWiener - Neustadt, wodurch das Etablissement an das Südbahnnetz angeschlossen wurde.

Im Jahre 1873 fand im Sinne des neuen Gesetzes die Umwandlung der bisherigen Gesellschaft in eine Actiengesellschaft statt, wobei an Stelle des früheren Capitales, bestehend aus 20 auf Namen lautenden Antheil- scheinen von je fl. 52.800 ö. W., 8000 Stück Actien k fl. 200 ö. W. emittirt wurden.

Die Pottendorfer Spinnerei betheiligte sich an den Gewerbe- und Producten-Ausstellungen, welche in den Jahren 1839 und 1845 in Wien abgehalten wurden. Ferner an den Weltausstellungen, welche 1855 in Paris, 1862 in London und 1873 in Wien stattfanden. Sie erhielt in Anerkennung der Vorzüglichkeit ihrer Producte vier Medaillen, während sie 1873 als Mitglied der Jury hors concours stand.

Die durch die Auflassung der Weberei im Jahre 1877 frei gewordenen Räumlichkeiten wurden zur Ver- grösserung der Zwirnerei benützt. Am 21. December 1888 erwarb die Unternehmung käuflich von der nieder­österreichischen Baumwoll-Industriegesellschaft in Wien das nach dem Brande wieder aufgebaute Spinnereigebäude in Rohrbach am Steinfelde nebst Arbeiterhaus, Wasserkraft und allem Zubehör und errichtete daselbst eine ganz neue Spinnerei mit 33.528 Spindeln, welche im Juli 1890 in Betrieb kam.

Am 29. Juli und 23. November 1893 wurde das Pottendorfer Etablissement von zwei verheerenden Brand­katastrophen heimgesucht, wodurch zwei der grössten Spinnereigebäude mit zusammen 49.452 Spindeln total eingeäschert

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