Flachsspinnerei, Weberei, Bleicherei, Appretur, Färberei und Wäscheconfection schärfer trennte, so war andererseits der Antheil der landwirthschaftlichen Bevölkerung, die ausser dem Flachsbau doch auch zugleich diese Zweige als Hausgewerbe betreibt, so verquickt mit dem rein industriellen fabriksmässigen Antheile an der Leinen-Industrie, dass dieselbe eine Interesseneinheit darstellt, die mit allen ihren Fasern in dem Boden des nationalen volkswirthschaftlichen Lebens Oesterreichs wurzelt. Die Noth hat dieses landwirth- schaftlich-industrielle Bündnis noch fester gefügt, das endlich seinen Ausdruck in der Gründung des Verbandes der österreichischen Flachs- und Leinen-Interessenten gefunden hat. Der Verband knüpft wiewohl nur historisch an ihm ähnliche Vereinigungen des vorigen Jahrhunderts an, deren Entstehen sich mit dem Ehrfurcht gebietenden Namen der grossen Kaiserin Maria Theresia in Verbindung bringt. Die Kaiserin, welche in so hohem Maasse ihr Interesse gerade der böhmischen und mährischen Leinen-Industrie zuwandte, bestätigte die im Jahre 1752 von Adolf Wagner in Trautenau begründete erste Gebirgshandlungs-Societät, die indessen nicht lange bestand.

Im Jahre 1771 begründete der Kaufmann Ignaz Falge ebenfalls in Trautenau eine Neue Gebirgs­handlungs-Societät, die aber dasselbe Schicksal erlitt und in den Kriegswirren und beim völligen Verfall der heimischen Leinen-Industrie am Schlüsse des vorigen Jahrhunderts völlig sich auflöste und in Ver­gessenheit gerieth.

Diese Vereinigungen, welche man als Vorläufer des heutigen »Verbandes« bezeichnen könnte, hatten aber einen ganz anderen Charakter. Sie waren mehr kaufmännische Genossenschaften mit dem Haupt­zwecke der Pflege gemeinschaftlicher Regelung der Leinwanderzeugung und insbesondere des Exportes.

Fast ein Jahrhundert bedurfte es, um industrielle Verbände zu schaffen, welche der neuen und bei weitem grösseren Aufgabe gerecht zu werden vermochten, welche solchen Vereinigungen durch die neue Lage der Volkswirthschaft und gegenüber der Handelspolitik der Bestimmungsländer für den Export gestellt wurden. Seitdem die Aera der Schutzzölle und Zollvereine und später der Zollverträge ange­brochen war, seitdem Ministerien mit eigenen Verwaltungsgebieten helfend eintreten mussten, die Be­dingungen jedweden Verkehrs, hauptsächlich die Eisenbahnen, in die Hände einer centralen Admini­stration gelegt waren, und die Gesetzgebung der Parlamente aufs tiefste in die gewerbliche Production und den Handel eingriff, da mussten Vereine für eine ganze industrielle Interessengruppe entstehen und als Mitarbeiter und Berather von Regierung und Gesetzgebung in ihrem industriellen Interesse auftreten, so dass ihre rein kaufmännische Function sogar in den Hintergrund trat.

So hat auch für die Leinen-Industrie die gemeinschaftliche Zoll- und Handelspolitik Oesterreichs und der übrigen deutschen Staaten innerhalb des alten Zollvereines den ersten grossen Leinen-Industrie­verband entstehen lassen, den Deutschen und Oesterreichischen Leinen-Industrie-Verein, dessen Sitz Bielefeld war. Die vollständige zoll- und handelspolitische Trennung der Monarchie vom heutigen reichs- deutschen Gebiete führte aber (im Jahre 1878) naturgemäss seine Auflösung herbei. Seither wurde in Bielefeld sein Nachfolger für die reichsdeutsche Leinen-Industrie allein der Verband Deutscher Leinen- Industrieller und der Nachfolger des publicistischen Organes desselben, des »Leinen-Industriellen«, nunmehr »Der Deutsche Leinen-Industrielle«, während seit dieser Zeit die österreichische Leinen-Industrie eines Verbandes bis zum Jahre 1893 völlig entbehrte, wenn man die »Trautenauer Garnbörse« nicht als solchen bezeichnen will.

Die Bedrängnisse, welche der Isolirung der österreichischen Leinen-Industrie oder vielmehr der steigenden Zollerhöhung nach Deutschland folgten, waren noch von anderen unglücklichen Ereignissen begleitet und drängten schon damals zu gemeinsamen Schritten der Abwehr von Seite der flachsbauenden Landwirtschaft und der Leinen-Industrie. In kurzen Zwischenräumen folgten die empfindlichen Schläge aufeinander, an denen noch heute die österreichische Leinen-Industrie leidet: die Finanzkrise des Welt­ausstellungsjahres 1873, der Uebergang der k. und k. Heeresverwaltung von der Leinenwäsche zur Baumwoll- wäsche (1872), der deutsche Schutzzolltarif vom Jahre 1878 in Verbindung mit der Aufhebung des Roh­leinenverkehres nach Preussen (1879), der Hochschutzzoll-Tarif Russlands (1882), die erste Mac Kinley- Bill, die Handelsverträge von 1890, die Dingley-Bill (1897), welche die Garn- und die Flachspreise auf die Hälfte herabdrückten, so dass auch der Flachsbau immer mehr zurückgehen musste.

Da bereitete sich die erste Kundgebung der zur Einigkeit gedrängten Interessenten im Anschlüsse an die für die österreichische Industrie so ereignisreiche Weltausstellung in Wien im Jahre 1873 vor. Im August 1873 fand in Wien der Internationale Congress der Flachs- und Leinen-Interessenten,

298