Durch die im Jahre 1888 erfolgte Eröffnung der Eisenbahnstrecke Hannsdorf-Ziegenhals erfuhren die Ver­kehrsverhältnisse endlich die längst ersehnte Verbesserung; bis dahin wurden die Waaren nämlich noch immer ab Freiwaldau zu Wagen verfrachtet.

Ein schwerer Verlust traf die Firma, als im Jänner 1889 Herr Adolf Raymann, Sohn, starb, der durch viele

Jahrzehnte als Chef der Firma in Freiwaldau in hervorragenderWeise zur gedeihlichen Entwickelung und zum bedeu-

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tenden Aufschwünge des Unternehmens beigetragen hatte.

Gleichwie früher der Consum in feineren Tischzeuggeweben, so stieg jetzt wieder die Nachfrage nach ordi­nären und mittleren Qualitäten; dabei drängten die rascher wechselnden Conjuncturen immer mehr auf möglichste Verkürzung der Lieferzeit, so dass die Handweberei diesen Anforderungen nicht mehr Genüge leisten konnte, und andererseits waren die alten Baulichkeiten der mechanischen Weberei aus dem Ende der Sechzigerjahre in technischer und hygienischer Beziehung nicht mehr entsprechend; insbesondere erwiesen sich die mehrstöckigen Webereigebäude als ungeeignet für die Tischzeugfabrication. Deshalb entschloss sich die Firma im Jahre 1889, einen grösseren Shedbau von 2000 Quadratmetern Flächenmaass aufzuführen, dem 1891 ein weiterer von 1000 Quadratmetern folgte. In den Jahren 1896/97 wurde die Reorganisation der mechanischen Weberei vollends durchgeführt, so dass die alten Webereien ganz aufgelassen werden konnten. Der Shedbau in seiner jetzigen Ausdehnung von 6000 Quadratmetern bietet Raum für 600 mechanische Stühle, welche durch eine neue Dampfmaschine von 250 Pferdekräften betrieben werden.

Auch die seinerzeit schon erwähnten Wohlfahrtseinrichtungen waren im Laufe der Jahre wesentlich erweitert undausgestaltet worden. 1870 war für die mechanische Weberei und 1881 für die Handweberei im Fabriksbetriebe je eine Krankencasse gegründet worden; diese beiden giengen 1886 in eine auf sämmtliche Abtheilungen des Etablissements ausgedehnte Fabrikskrankencasse über, welche drei Jahre später neuerdings reorganisirt und den Bestimmungen des Krankenversicherungsgesetzes vom Jahre 1888 angepasst, als Betriebskrankencasse fortgeführt wurde; die Beiträge zur Betriebskrankencasse deckt die Firma allein.

Wie schon früher erwähnt, hatten in einzelnen Abtheilungen des Etablissements bereits seit Jahren Cassen zur Unterstützung alter und invalider Arbeiter, wenn auch nur in bescheidenem Umfange bestanden, immerhin waren von denselben bereits an 28.000 fl. für Unterstützungen verausgabt worden. 1894 schritt nun die Firma, von dem Wunsche geleitet, ihre sämmtlichen Arbeiter dieser Wohlthat theilhaftig werden zu lassen, zur Gründung der Arbeiter-Unterstützungscasse, die alten, ganz oder theilweise arbeitsunfähigen Arbeitern, welche längere Zeit im Dienste der Firma gestanden haben, eine regelmässige monatliche Unterstützung zusichert, und zwar gibt bei einem Alter von 65 Jahren eine zwanzigjährige, bei einem Alter von 60 Jahren eine dreissigjährige Dienstzeit Anspruch auf Alters-Unterstützung. Die Beiträge werden von der Firma und den Arbeitern zu gleichen Theilen geleistet und die Casse von einem Ausschüsse verwaltet, in welchem beide Theile vertreten sind. Das Vermögen der Arbeiter-Unterstützungscasse betrug zu Ende 1897 bereits über 105.000 fl., und waren damals nach nur vierjährigem Bestände der Casse bereits fl. 10.000 für Unterstützungszwecke verausgabt worden.

Zur Zeit wird das Unternehmen von den beiden Brüdern Ernst und Alois Regenhart allein geführt, nachdem der langjährige Leiter der Wiener Fabriksniederlage, Herr Ernst Weiss, nach längerem Leiden im Mai 1897 ver­schieden ist.

Das Etablissement umfasst gegenwärtig eine mechanische Weberei mit 500 und eine Handweberei mit 1200 Stühlen, eine grosse Waarenbleiche und Appreturanstalt, sowie eine Garnbleiche, fast alle mit elektrischer Beleuchtung versehen, mit circa 2500 ständigen Arbeitern; ausserdem finden in häuslichen Nebenarbeiten, wie Nähen, Spulen, Knüpfen u. s. w. noch weitere 1200 weibliche Personen ihre Beschäftigung.

Der vorstehend geschilderte Entwickelungsgang des Unternehmens legt davon Zeugnis ab, dass dasselbe durch die Thätigkeit und Umsicht seiner stets von langjährigen treuen Mitarbeitern unterstützten Chefs in fast hundert Jahre langem unermüdlichen Schaffen und Vorwärtsstreben dreier Generationen aus den kleinsten Anfängen zu seiner heutigen Grösse und Weltstellung emporgestiegen, sich in der Geschichte der österreichischen Industrie einen ehrenvollen Platz gesichert hat.

Die auf allen grossen Ausstellungen der letzten Jahrzehnte mit den ersten Medaillen prämiirten Fabricate der Firma Regenhart & Raymann werden heute nicht nur im Inlande, sondern auch auf den Exportmärkten unter denjenigen genannt, die sich durch vollendeten Geschmack und kunstvolle Ausführung auszeichnen. Und wie die Firma für sich das Verdienst beanspruchen darf, im Rahmen ihres Industriezweiges durch Einführung von Ver­besserungen und neuen Fabricationsmethoden, sowie durch Pflege von Wohlfahrts-Einrichtungen im Inlande bahn­brechend gewirkt zu haben, wie sie unstreitig die erste war, die in Oesterreich den Kampf gegen die ausländische, insbesondere die hochentwickelte englische Concurrenz aufnahm und mit Ehren bestand, so wird sie auch unter denjenigen zu verzeichnen sein, die den Ruf der österreichischen Leinen-Industrie im Auslande begründen halfen.

Die Gross-Industrie. IV

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