Dokument 
Die Groß-Industrie Oesterreichs : Festgabe zum glorreichen fünfzigjährigen Regierungs-Jubiläum seiner Majestät des Kaisers Franz Josef I. dargebracht von den Industriellen Österreichs 1898 ; Vierter Band
Entstehung
Seite
364
Einzelbild herunterladen

der neuen Mauthordnung des Jahres 1817 in recht mühsamer und langwieriger Weise gepflogen wurden. Während die Prohibitivmaassnahmen Oesterreichs gegen die Schweiz aus dem Ende des vorigen Jahrhunderts sich auf den Stickereiverkehr nicht bezogen und aus dieser Zeit keinerlei Klage laut werden, 1 ) änderte sich die Sachlage mit einem Schlage, als am 25. September 1817 eine neue Mauthordnung für die öster­reichisch-italienischen Staaten publicirt wurde, welche das Einfuhrverbot für Baumwollgarn und Baumwoll- waaren jeder Art enthielt, während gleichzeitig die österreichische Regierung verlauten Hess, dass sie die gleiche Maassregel auch für Tirol und Vorarlberg, welche eben mit Oesterreich wieder vereinigt worden waren, in Kraft treten lassen wolle. Die ostschweizerischen Interessenten erkannten sofort die Gefahr, welche ihrer Industrie aus der Entziehung der vorarlbergischen geschulten und wohl auch billigeren Arbeits­kräfte erwachsen müsse, und rasch entschlossen wurde über Anregung des kaufmännischen Directoriums in St. Gallen eine Deputation, bestehend aus Michael Weniger und Karl August Gonzenbach, an das Hoflager nach Wien entsendet, um eine Aufhebung des Verbotes, mindestens aber eine Milderung desselben zu erwirken. Die Unterhandlungen dauerten viele Monate und liegen über dieselben zahlreiche Berichte vor, welche unter Anderem einen nicht uninteressanten Einblick in das Verhältnis zwischen Hofkammer und Hofcommerzstelle gewähren. Aus den vielen bemerkenswerthen Angaben der aus diesem Anlasse von der schweizerischen Deputation überreichten Denkschrift heben wir jene hervor, in welchen die alljährlich aus der Schweiz nach Vorarlberg gehenden Stickerlöhne, allerdings im Interesse der schweizerischen Sache offenbar etwas übertrieben, mit einer Million Silber angegeben werden. In Vorarlberg selbst waren die Meinungen getheilt. Während die eine Partei sich für die Beibehaltung des gegenwärtigen Zustandes aussprach, trat die andere, mit einem Rhomberg an der Spitze, für die unbedingte Anwendung der Mauthordnung auch auf Vorarlberg ein, weil sie von der Meinung ausgieng, dass die Schweiz auf die vorarlbergischen Arbeitskräfte angewiesen sei und das Einfuhrverbot die Wirkung haben werde, dass sich schweizerische Handelshäuser in Vorarlberg ansiedeln werden und auf diese Weise eine selbstständige Stickerei-Industrie im Lande entstehen müsse, wogegen die Schweizer geltend machten, »dass kein einziges vorarlbergisches Handelshaus mit den schweizerischen concurriren könne, schon wegen der dortigen sehr geringen Production von Mousseline, vornehmlich der für die Stickerei erforderlichen feinen Gattung, welche die Concurrenz der schweizerischen nicht auszuhalten vermöchte. Einen ausgebreiteten Handel werde der vorarlbergische Handelsstand also nicht treiben können; er werde sich auf den bequemen österreichischen Markt beschränken müssen und so dem vorarlbergischen Arbeiter die ausgedehnte schweizerische Industrie nicht ersetzen können«. Das Kreisamt in Bregenz befürwortete den freien Verkehr Vorarlbergs mit den beiden Cantonen St. Gallen und Appenzell »wenigstens noch auf einige Jahre« und »gegen eine angemessene Verzollung und zu regulirende Modalitäten«. In ähnlichem Sinne fiel auch endlich die Entscheidung, welche dahin lautete, dass unbeschadet des allgemeinen Einfuhrverbotes die Einfuhr der schweizerischen »Cottune«, wie es in der Entschliessung irrthümlich heisst, nach Tirol und Vorarlberg, jedoch gegen Wiederausfuhr in besticktem Zustande gestattet sein solle. Eine weitere Begünstigung wurde aber abgelehnt. Die St. Galli­sche Regierung dachte ursprünglich an Revanche und hatte nicht übel Lust, die vorarlbergische Stickerei dadurch lahmzulegen, dass die ostschweizerischen Häuser veranlasst werden sollten, ihre Waare aus­schliesslich in der Heimat anfertigen zu lassen. Allein sei es, dass die Vorarlberger damals bessere Arbeit lieferten, sei es, dass die Löhne dort niedrigere waren, oder dass die Kaufleute ihre alten geschäftlichen Beziehungen nicht aufgeben wollten, der Plan scheiterte in seinen ersten Anfängen, nachdem das kauf­männische Directorium in St. Gallen der Regierung auseinandergesetzt hatte, dass hier »weder durch Zwang, noch durch einen Appell an den Patriotismus etwas zu erreichen sei«.

Die erwähnte Entschliessung des Kaisers Franz war für die weitere Gestaltung der Beziehungen Vorarlbergs zu der Ostschweiz von ausschlaggebender Bedeutung. Wäre sie anders ausgefallen, so hätte sich vielleicht die Stickerei-Industrie Vorarlbergs zu einer selbstständigen entwickelt, jedenfalls wären die Versuche dazu, die erst in die neueste Zeit fallen, früher aufgetreten. An Thatkraft hat es den Vorarl­bergern nicht gefehlt, und das Capital, welches hier wie überall eine wichtige Rolle spielt, namentlich weil die Veredelungs-Industrien, insbesondere die Bleicherei und Appretur, nicht genügend entwickelt waren, während ihre Qualität in der Stickereifabrication von hoher Bedeutung ist, hätte sich sicherlich gefunden, schon angezogen durch die damals höhere qualitative Leistung der Sticker und durch die gegenüber der Ostschweiz in der Regel etwas niedrigeren Löhne.

') Siehe Dr. Heinrich Wartmann, a a. O. S. 182.

3G

W