Der zweite Schritt zum Grossbetrieb musste mit dem Nähen gemacht werden. Da lag noch ein Hemmschuh. Mit der Hand, Stich an Stich waren die Strohbänder eines an das andere genäht worden, eine langwierige Arbeit, die bei feinen Geflechten oft einen halben Tag für einen Hut in Anspruch nahm. Da kam endlich, Anfangs der Siebzigerjahre, die erste Strohhutnähmaschine und mit ihr die Möglichkeit, mit einer Arbeiterin, die früher zwei Hüte im Tag machte, jetzt das Zehnfache zu leisten.

Eine ganze Revolution trat ein in der Erzeugung. Um ihr Brot glaubten die alten Handnäherinnen zittern zu müssen, das ihnen die unseligen Maschinen nähmen. Wie sehr haben sie sich getäuscht! Mit diesen verbesserten Productionsmethoden konnte nun endlich die Leistungsfähigkeit der Branche zu Tage treten. Von strebsamen Firmen geführt, hatte sich die österreichische Industrie schon Geltung verschafft, weit über die Grenzen des Vaterlandes hinaus. Nun waren ihr endlich die Mittel gegeben, dies auch auszunützen. Der Import fremder Waaren sank, eine lebhafte Ausfuhr begann nach dem Orient, nach Deutschland, Schweden, Norwegen, nach Russland und anderen Ländern. Zielbewusst arbeiteten im Vereine mit der Filzhutbranche in Wien Firmen wie P. Ladstätter & Söhne, J. Oberwalder & Co. und andere dahin, eine Wiener Hutmode auszubilden, die nicht nur hier, sondern auch im Auslande Geltung gewann neben der Pariser und der englischen, beiden sogar vielseitig vorgezogen wird.

Einmal auf dieser Stufe, gieng die weitere technische Vervollkommnung leichter vor sich. Ende der Siebzigerjahre kamen wesentliche Verbesserungen der ersten Nähmaschine durch das neue amerikanische Svstem Willcox & Gibbs, denen Ende der Achtzigerjahre der letzte Fortschritt, die »Handstich-« oder »Unterstichmaschine« folgte, durch deren Nähart die Arbeit der Hand täuschend nachgeahmt und der Nähfaden an einer Seite des Hutes nahezu unsichtbar gemacht wurde. Eine mächtige Anregung erfuhr die Production auch durch neue Rohmaterialien zweier überseeischer Länder, durch die Geflechte, welche seit den Siebzigerjahren aus China über London und aus Japan seit den Achtzigerjahren ursprünglich über New-York, später gleichfalls über London kamen, in Quantitäten und zu Preisen, die es gestatteten, auch der Nachfrage nach billigen Hüten ausreichend und mit guter Waare zu dienen. Daneben macht auch die einheimische Flechterei bemerkenswerthe Fortschritte. Für diese wird namentlich in der Domzaler Gegend die von der Regierung kürzlich verfügte Anstellung eines Wanderlehrers, der in Italien eingehende Studien gemacht hat, von voraussichtlich segensreichen Folgen sein.

So gelangte allmählich die österreichische Strohhut-Industrie auf ihre heutige Stufe. Die Gegenüberstellung einer Betriebseinrichtung von 1848 und einer modernen möge den Unterschied illustriren. Damals gab es 1. eine Näherei, wo mit der Hand Band an Band gefügt wurde, 2. eine Appretur, in der mittelst Schwamm oder Pinsel die Steife aufgetragen wurde, 3. eine Formerei mit wenigen, Jahre hindurch gleich bleibenden Formen aus Holz, auf welchen die Hüte zurecht gebügelt oder geschliffen wurden.

Heute bestehen: 1. Nähsäle, in welchen auf langen Tischen Nähmaschine neben Nähmaschine steht; Fussbetrieb ist nur noch einzeln, meist mechanischer Antrieb (Dampf oder Elektricität);

2. Appreturtische, in welchen Steifkessel eingelassen sind und mittelst Dampf die Appretur genau controlirbar erhitzt werden kann;

3. Formsäle, wo, der rasch wechselnden Mode folgend, für jede Saison 30 und mehr verschiedene Formen für Damenhüte, ebensoviel für Männer- und Knabenhüte, letztere beide in Grössenscalen nach Kopfweiten, alle in Gussformen aus Eisen oder Zink in langen Reihen vorgerichtet sind. Ferner befinden sich da lange »Spanntische« mit Dampf geheizt, wo die genähten und appretirten Hüte auf erwärmte Hochdruckformen aufgezogen und vorgeformt werden;

4. Presssäle, in denen hydraulische Pressen, einzeln oder von einem Accumulator aus gespeist die geformten Hüte unter beliebig regulirbarem Druck in die endgiltige Form bringen. Dazu kommen bei den meisten grösseren Betrieben: Kesselhaus; Dampfmaschine; Ventilationsanlage für die Trockenräume; Bleicherei für die Geflechte, Färberei mit Dampfzuleitung, Formdrechslerei, wo Holzformen gedreht; eine Gypserei, wo Formen gegypst, und eine Giesserei, wo solche in Metall gegossen werden.

Wenn man sich diesen Abstand zwischen Einst und Jetzt in der Anlage vergegenwärtigt und bedenkt, dass ebenso Production und Umsatz sich in gleichem und höherem Maasse steigerten, wird man erkennen, dass die fünfzig Jahre nicht ungenützt verblieben.

Wien, wo sich den renommirten älteren Firmen J. Mayer, P. Ladstätter & Söhne, Aug. Krendl, J. Oberwalder & Co., Mellitzer & Ivleinlercher, Stemberger, Neuzil, mittlerweile eine ganze Reihe neuer grösserer Betriebe, unter anderen Siegfried Engl, Friedmann & Tapezierer, Stroheim & Cie., Brüder

Die Gross-Industrie. IV.

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