in der richtigen Erkenntnis, dass die durch die Erleichterung des Verkehres zu erzielenden Vortheile die Opfer für das Zustandekommen neuer Bahnen vollauf rechtfertigen.

Die moderne Literatur hat uns mit zahlreichen Werken beschenkt, in denen phantasievolle Verfasser in die Zukunft zu blicken trachten und mit kühnem Fluge des Geistes die Lebensverhältnisse schildern, wie sie sich bei fortgesetzter Entwickelung der gegenwärtigen socialpolitischen Strömungen, sowie der heute schon vorhandenen technischen Errungenschaften in kommenden Jahrhunderten gestalten könnten. Wenn solche kühne Phantasiegebilde uns Vorgänge schildern, die sich in fortschrittlichen Linien bewegen, so würde es wohl auch der Mühe lohnen, einmal den umgekehrten Weg einzuschlagen und unsere Phantasie damit zu beschäftigen, die Zustände auszumalen, wenn alle die modernen technischen Errungenschaften, die wir heute im Privat- und öffentlichen Leben als selbstverständlich hinnehmen, wenn namentlich die Eisenbahnen in Wegfall kommen würden, um uns durch diese Vorstellung doppelt an dem Vorhandenen zu erfreuen.

Wie ein Ammenmärchen klingt es uns heute, dass zur Zeit des Baues der Kaiser Ferdinands- Nordbahn eine schon damals hochentwickeltes industrielles Leben aufweisende Stadt eine Deputation nach Wien entsendete mit der dringenden Bitte, zu verhindern, dass die schreckliche Eisenbahn das Weichbild dieser Stadt berühre. Wenn wir heute in einem mit mehr als 90 Kilometer pro Stunde Geschwindigkeit das Land durchrasenden Schnellzuge behaglich im luxuriös ausgestatteten Speisewagen sitzen oder uns bequem im Schlafwagen zur Ruhe ausstrecken, so können wir nur mit Lächeln der Befürchtungen gedenken, welche, von medicinischer Seite ausgesprochen, die schädlichen Einflüsse schilderten, welche die schnelle Eisenbahnfahrt natürlich in dem Tempo der Vierzigerjahre auf den menschlichen Organismus aus­üben müsse. Ebenso erheiternd wirkt der Ausspruch eines auf einer hohen Stufe der hierarchischen Leiter stehenden Mannes, welcher der Kaiser Ferdinands-Nordbahn jede Aussicht auf eine Rentabilität mit dem Hinweise darauf abgesprochen hatte, dass zwischen Wien und Brünn ein Stellwagen wöchentlich nur zwei­mal verkehre, der aber trotzdem oft leer sei.

Dieser uns jetzt naiv erscheinende Ausspruch ist aber wohl begreiflich, wenn berücksichtigt wird, dass bevor das geflügelte Rad seinen Triumphzug durch die ganze civilisirte Welt angetreten hatte, sich auch die Erkenntnis nicht bahnbrechen konnte, dass abweichend von anderen Gebieten, auf denen das Bestreben nur darauf gerichtet sein kann, dass die zu schaffenden Mittel dem vorhandenen Zwecke ent­sprechen, auf dem Gebiete des Transportwesens gar oft eine umgekehrte Reihenfolge erforderlich ist, dass vorerst ein entsprechendes Verkehrsmittel vorhanden sein muss, um die gesicherte Grund­lage für die Steigerung der Transporte zu bieten.

Aufgabe einer neuen Transportanstalt kann es daher nie sein, ihre Leistungsfähigkeit lediglich dem schon vorhandenen Bedarfe anzupassen, dieselbe muss vielmehr gleichzeitig die Basis schaffen, auf welcher sich neue Verkehre bilden können.

In dieser Wirkung neuer Transportmittel liegt, wie die Erfahrung hundertfältig gelehrt hat und wie sich uns immer wieder zeigt, sobald ein neuer Schienenstrang zur Eröffnung gelangt, die wahrhaft schöpferische Kraft des geflügelten Rades, das Zaubermittel, welches Industrie und Handel zur Entwickelung und Blüthe bringt, ungünstige Conjuncturen, welche geschäftlichen Unternehmungen sonst schier unüberwindliche Hindernisse entgegenstellten, erfolgreich besiegt.

Wenn wir daher der Phantasie in der angedeuteten Richtung folgend versuchen wollten, uns die heutigen wirthschaftlichen Verhältnisse unter Eliminirung speciell der Eisenbahnen auszumalen, so hätten wir uns nicht darum zu fragen, wie der heutige Verkehr, sei es im Personen-, sei es im Güterdienste, ohne das Hilfsmittel der Eisenbahnen bewältigt werden könnte, sondern wir müssten uns vielmehr darüber klar sein, dass sich ohne Eisenbahnen ein Verkehr in der gegenwärtigen Intensität niemals hätte entwickeln können.

Es wäre wohl überflüssig, zur Begründung dieser Behauptung vorerst hinsichtlich des Personen­verkehres des Langen und Breiten zu erörtern, in welchem Maasse die für den Personenverkehr erzielte Regelmässigkeit, Schnelligkeit, Bequemlichkeit und Billigkeit dazu beigetragen hat, ein früher nie vorhandenes und in gleichem Maasse wohl nie als möglich gedachtes Reisebedürfnis zu wecken, weite Kreise der Bevölkerung sowohl für geschäftliche Zwecke als für Zwecke der Erholung und des Vergnügens von der heimischen Scholle loszulösen.

Die Erkenntnis von der Wichtigkeit obiger Factoren für die fortschreitende Ausgestaltung des Personenverkehres bildete denn auch den Ansporn für die Fachmänner des Eisenbahnwesens, die Betriebs-

189