85

häusern findet man die alten jovialen Gesichter, den alten derben Handschlag, den alten kernigen Fiakerwitz, dasalte reichliche Backhändl, und den alten lautjubclndenSchwips. Aber eben diese Vororte werden es sein, welche der fremde Gast der Welt­ausstellung nicht besuchen wird; und in der inneren Stadt und in den Prachtstrassen, den Prachtgeschäften und den Prachthotels wird er vergebens den Wiener Typus suchen, den er schon mit der Fibel auswendig gelernt hat; den stets fidelen, stets witzigen, leicht vertrauenden, leicht gereizten und steigenden Typus, dessen Refrain immer dieBruderschaft war. Unter den richtigen Wiener Typen, über die ich hier plaudern will, sind viele schon im Aus­sterben begriffen, manche erst seit ein paar Jahren zugewachsen, manche fast ganz unkenntlich geworden und entartet. Unter diese Letzteren gehört vor allem der Wiener Schusterbube. Wer

hat nicht gehört von diesen Rivalen der Pariser Gamins? Er

spielte eine Rolle in jeder Anekdote, in jedem Witzblatte, in jedem Volksstücke. Wir alle wussten ihn auswendig zu zeichnen, mit seinem frivolen, pfiffigen Gesichte, dem struppigen Haare, dem Stiefelpaar über die Schulter und den riesigen Pantoffeln an den i magern Füssen. Der Wiener Schusterbube war gefürchteter als

seiner Zeit Voltaire dnrcli seinen Witz, und beliebt wie ein

Lannerscher Walzer. Er war geistreicher als alle Söhne des grossen Dumas zusammengenommen und volksthümlich wie der Stephans­thurm. Der Wiener Schusterbub war ebenso unerschöpflich an Witzen wie an blauen Flecken. Er. wurde stets geprügelt und stets geliebt. Er war der lustige Rath des Bürgerthums, die menschgewordene Selbstkritik des Wiener Uebermuths. Wir beutelten ihn an den Haaren und duckten uns vor seiner treffenden Kritik. Wir liefen ihm nach und liefen wieder vor ihm davon. Die Polizei hatte die vor Lachen thränenden Augen auf ihn gerichtet, unsere Väter besangen ihn, unsere Künstler verkörperten ihn auf der Bühne und im Bilde, und die Fremden suchten unter allen Merkwürdig­keiten zuerst den Wiener Schusterbuben. Und dieser Wiener Schusterbub ist nicht mehr. Wie er verschwunden ist, wann