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Charivari entstellt. Die Andacht, die man in Weimar einem Gothe mitgegenbrachte und einem Schiller, wäre in Wien undenkbar, nicht der Intensivität, wohl aber der Dauer nach. Das Genie erlebt im trenndlichen, freudigen, enthusiastischen Wien selige 'Page nn seinen Festen; seine Geburtstage und Namenstage und Jubiläen werden da mit einer Glnth der Verehrung gefeiert, wie man sie sonst nur bei den Italienern und Siidamerikanern findet. Die übrige Zeit hin aber wird das Genie ä peil pres vergessen, es wird sogar hie und da bekrittelt, angefeindet, und es muss sehen, dass Journale und Volk den Jubilänmstag eines Uassierers, oder die A'ermählnng eines Zeitiingseigenthiimers, oder das Begräbniss eines Theater- liebhabers in derselben solennen, phrasen- und nicnschenreichen Weise feiern, wie das Fest des Gottbegnadeten.

Wien hat also keine Sichtung seiner grossen Künstler, wie Berlin, Leipzig, München. Jene Städte haben einen strikten Unter­schied zwischen der Flite der schönen Künste und ihren Tagesgötzen.

In Berlin, Leipzig und München z. B. wird es Niemanden ein­fallen, einen Julius Rodenberg, einen Gutzkow, einen Auerbach, eine Diiringsfeld mit dem ersten besten Feuilletonisten momentan auf eine Stufe zu stellen; oder eine (Velinger mit einer Anna Schramm, oder einen Kaulbach, Knaus, Ascheubach mit irgend «einem Farbenmischer potentirtesten Ranges. Wien, die Stadt des Moments, ist das im Staude. Man betrachte nur, wie viel Berühmt lieiten da alljährlich kreirt werden von Setzers Gnaden, und wie wichtig man eine Afläire der Gallmayer gleich neben den Afläiren Europas macht.

Und dennoch haben die grossen Männer und die grossen Geister es stets geliebt, in Wien zu leben und zu sterben; ich meine einfach desshalb, weil sie erkannten, dass der Wiener nicht aus Unverstand und Unkenntniss so freigebig ist im Super­lativ seiner Begeisterung, sondern aus angeborner Sehnsucht nach ein wenig Schwärmerei, ein wenig ('eremoniell, ein wenig Lärm. Und das Leben an und für sich ist in den deutschen Ländern nirgends so voll, so frisch, so schön und so reich.

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