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Alle die tausende Nationalitäts - Polemiken, all die vielen fremden Momente und Einwanderer, all die verderbten kankaniren- den Elemente, all das fremdländische Raffinement, welches in den letzten Jahren hier Platz gegriffen hat, vermochten es nicht, den echten Fond von Ilumor, Jugendlichkeit, Freigebigkeit und Leichtherzigkeit zu verwischen, welcher über Wien lagert ewiglich, wie das Firmament über der Welt.

Betrachten wir die Literatur, wie sie in Wien besteht, be­trieben wird, und welche Kräfte sie zählt, so müssen wir laut bedauern, dass sie in den letzten Jahren ihre herrlichsten Ver­treter, ihre wahrhaft Gottgeweihten verloren hat: Grillparzer, Hebbel und den harmonischen Lyriker Friedrich llalm.

Grillparzer war so recht ein Wahrzeichen Wiens, gleichsam sein Palladium. Und er hielt sich auch wie in einem Tabernakel in seiner bescheidenen, hochgelegenen Wohnung, und mancher Mekkapilger musste unverrichteter Sache abziehen von der ihiire der Kaaba, denn der unsterbliche Greis war ein Freund der Stille, gleichsam um das Geflüster der Musen besser zu hören.

Hebbel war anderen Sinnes, obwohl die Wirkung bei ihm dieselbe war. Die Welt störte ihn gleichsam, weil er sie nicht liebte, weil er verbittert war und misstrauisch in seinem Innern. Er hielt die Menschen für feindlich, weil er schwarzsehend war und leicht verstimmt wurde durch seine eigenen Gedanken.

Friedrich Halm lebte dagegen in und mit der Welt freilich nur mit der grossen.

Dieser innige Dichter hatte den seltsamen lloehmuth des kleinen Adels, welcher sich in die höheren Sphären einschmuggelt und glücklich ist, wenn er wieder ein Antichanibre hinter sich hat. Dazu gesellte sich ihm der noch seltsamere lloehmuth der Bureau- kratie, welcher wirklich und wahrhaftig auf einen leeren Titel, auf einen Kanzleirang, auf (ine noch so kleine Beförderung etwas gibt, nachdem man eine Griseldis und einen Sohn der Wildniss geschrieben hat! Hneniuiokli-oh war zuletzt seine Stellung zu Laube, welch Letzterer überhaupt die Schwäche hat, jedem geistig