103

Vor allem stehen sich da die Nationalitäten entgegen, und jede Nationalität hat ihre Journale und ihre publicistischen Vertreter.

Nun hat aber jede Nationalität wiederum ihre politischen Parteien und diese ihre Organe. Neben diesen Zerwürfnissen stehen sich in keinem andern Lande die Klerikalen und Liberalen so kampfgerüstet gegenüber, wie eben in Oesterreich. Jedes Land­städtchen hat hier sein klerikales und sein liberales Blatt, deren Redacteure sich gegenseitig anknurren.

Bei diesen Umständen ist es wohl natürlich, dass von einem Zusammenwirken und Zusammenleben der Journalisten Wiens keine Rede sein kann; da hat jede Partei ihr Stammgasthaus, ihre Fahne, ihr Theater möchte ich sagen, und es gibt nichts schemenhafteres und unerquicklicheres, als den SchriftstellervereinConcordia, der nur bei seinen Bällen (auf welchen Banquiers, hochgestellte Be­amten und Schauspielerinnen die erste Rolle spielen) ein einträch­tiges Gesicht macht. Wenn auch in andern Städten ebenfalls Parteiungen bestehen, so reichen doch diese nicht über die ge­druckten Polemiken hinaus, und das gesellschaftliche Leben ver­einigt die prinzipiellen Gegner in jeder fröhlichen Gesellschaft.

Sollten wir diese in Wien eigenthümliche Erscheinung be­klagen? Gewiss nicht, so unangenehm auch zartbesaitete, lyrisch empfindende Gemiither von ihr berührt sein mögen. Das politische Leben in Wien ist noch in der Gährung begriffen, die Gestaltungen ringen sich eben erst aus dem Chaos, aus der rudis indigestaque modes der politischen Materie empor und es ist wohl ganz natür­lich, dass in dem Kampfe um das Dasein die Parteien und Partei­schriftsteller über die Sache hinausgehen und den Personen gegenseitig die Pfeile schleudern, die nur für den Prinzipien­kampf geschliffen sein sollten.

Trotzdem müssen wir anerkennen, dass eine grosse Summe von Talent und Kenntnissen in der Wiener Puhlieistik vereinigt ist. Freilich flechten weder Gegenwart, noch Nachwelt dem Publi- cisten Lorbeerkränze. Das heissliungrige Publicum der Tagesblätter