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verlangt täglich ein Brillantfeuerwerk geistreicher Ideen, witzige Einfälle, zündender Gedanken; mehr als anderweits hat man sich daran gewöhnt, in den Journalen vorzugsweise nach Unterhaltung, weniger nach Aufklärung zu suchen, des Mannes aber, der im liedactions - Bureau alle Kräfte seines Geistes, die Summe um­fassenden Wissens auf einen Punkt concentriren muss, um mit epigrammatische; Kürze die Frage des Tages zu skizziren und um der Masse des Volkes vorzudenken, erinnert sich der Leser wohl kaum, wenn er sein Lieblingsblatt durchflogen. Und nun gar die sogenanntenGebildeten, die sogenanntegute Gesell­schaft, die ihren ganzen Gedankenvorrath, ihren ganzen geistigen Fond, mit welchem sie tagsüber wirthschaftet und geistreichelt, aus den Zeitungen bezieht, dieelegante Welt, deren geistige Heimat die Sumpfniederung ist, und die vermöge elementaren Zwanges ver­hindert ist, zu den Gletscherfirnen des Gedankens emporzusteigen, zu jenen idealen Höhen, zu denen das Getöse des Marktes und der Leidenschaften nicht emporhallt, hoc genus omne, was die Logen der Theater, die Concertsäle und die Salons füllt, entnimmt eben­falls seinen Bedarf aus dem Gedankenkleinverschleiss, aus der Ideengreisslerei der Zeitungen, ohne der vorhergegangenen Gedanken arbeit des Journalisten zu gedenken.

Wenn wir aus der journalistischen Welt Wien's unseren Lesern nun einige Charakterköpfe auf das Papier zeichnen, so wollen wir damit weder Gunst noch Ungunst walten lassen und eben so w r enig wollen wir sagen, dass die, welche zu nennen wir unterlassen, der Erwähnung nicht wertli gewesen wären.

Von den Journalisten des politischen Faches nennen wir zu­nächst Ignaz Kuranda. Er gehört noch dem vormärzlichen Oester­reich an, und jetzt, als Veteran, greift er wohl selten nur noch zur Feder, die einst so schlagfertig in demGrenzboten, so einfluss­reich in derOstdeutschen Post dominirte. Kuranda hat das Verständniss gehabt, zur rechten Zeit, bevor er sich überlebte, sich von der Journalistik zurückzuziehen. Jetzt ist er alt, müde und reich.