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falls er unpartheiiseh ist zugestehen, dass kein Gesellschafts­kreis, mag er auch noch so ausgezeichnet sein durch Reichthum, durch Wissen und durch Talent, es so perfekt versteht, schön zu sein oder schön zu scheinen, vie die Adelsveit.

Der Adel selber lässt sich hin wiederum eintheilen in die verschiedenen Spezies, denen er selber die Namen gegeben hat: die Exclusiven, die Gelangvcilten, die Passionisten, und die stehenden Typen der heiteren, feinen Salon-Comödie, welche sich la société betitelt und eigentlich Louis XIV. zum Verfasser hat. Die Rolle der Soubrette und des Tasmin übernehmen dabei die characteri- stischen Gestalten der Parvenüs.

Der österreichische hohe Adel ist nicht so kurz und prägnant zu schildern vie der anderer Länder. Denn die österreichische Noblesse, die grosse, tonangebende, hoffähige, rekrutirt sich wiederum aus verschiedenen Nationalitäten, deren edelste Vertreter ihr ureigenstes cachet haben.

Der spezitisch deutsche österreichische Adel ist in der Minder­zahl vertreten. Die kleinen reizenden Länder von Ober- und Nieder­österreich und Steiermark, die unter den Rabenbergern und den ersten Ilabsburgern eine kleine Colonie von Ileldenfamilien bildeten, haben ihre besten und ältesten Namen nur in geringer Anzahl auf unsere Zeiten vererbt. Dieser uralte, deutsch-österreichische Adel bildet aber bis heute noch in seinen spärlichen Vertretern die intimste und nächste Umgebung des Herrscherhauses, und man erkennt die Wiener Adelsfamilie auf den ersten Rlick, sie hat ihr Palais zu­meist in der llerrengasse oder seltener in einer anderen feudalen Strasse des alten Viertels. Nur selten verirrt sich dieselbe in die prächtigen neuen Paläste der Ringstrasse.

Und wo dies ja der Fall ist, da gehört dieses neugebaute, moderne, luxuriöse Heim einem jüngeren Zweige, einem Lieblings­sohn, der sich vermählt hat und sein eigenes Nostchen haben möchte für die Honigmonate, oder einer Tochter, welche dem Bräutigam ein pied à terre zubringt. Das Stammhaus, der Central­punkt des Wiener hohen Adels bleibt aber immer das alte Palais

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