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Die Groß-Industrie Oesterreichs : Festgabe zum glorreichen fünfzigjährigen Regierungs-Jubiläum seiner Majestät des Kaisers Franz Josef I. dargebracht von den Industriellen Österreichs 1898 ; Zweiter Band
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im ganzen Reiche mit Ausnahme Wiens so gering, dass von einer Massenherstellung von Ziegelei­erzeugnissen kaum die Rede war. In den einstigen zum Schutz und Schirm des Reiches erbauten Festungen hatte das Militär sogenannte Fortificationsziegeleien. Städte und Gemeinden hatten ihre eigenen Ziegeleien, und die Feudalherren, Bisthümer, Stifte und Gutsbesitzer hatten auch für einige Zwecke primitive Ziegeleibetriebe, die nach Bedarf periodisch betrieben wurden.

Vor dem Regierungsantritte unseres Monarchen war die Bauthätigkeit in Wien und den Provinzen sehr gering. Staats- und Kasernenbauten, vereinzelt ein unabweisbarer Kirchenbau war Alles. Die Architektur lag im Argen, jeder lebensfreudige schöpferische Zug fehlte. Man baute auch Miethkasernen mit grossen Höfen, schmucklosen Faqaden die sogenannten «Schubladenkästen» die heute noch die Strassen verunzieren.

Die Ziegelerzeugung galt daher kaum als ein Gewerbe, als eine Gross-Industrie oder als Speculations- unternehmen. Erst Alois Miesbach in Wien war es, der die grosse Zukunft dieser Production erfasste und mit richtigem Blick und mit Glück auszunützen verstanden hatte. Durch Pachtung, Ankauf der am Wienerberg und in der Umgebung gelegenen Ziegeleien suchte er die ganze Wiener Ziegelerzeugung in eine Hand zu vereinigen, ein Monopol zu schaffen.

Miesbach war schon i83o der alleinige Eigenthümer sämmtlicher Ziegeleien am Wienerberge und der eigentliche Begründer der zukünftigen Wienerberger Actiengesellschaft.

Beinahe ein Jahrzehnt später wurde durch Doblhoff in Weikersdorf die erste Terracottafabrik Oesterreichs begründet, die erfolgreich diese altvergessene Kunst wieder zu neuem Dasein erweckte und sich vielfach an Lieferungen für Kirchen- und Staatsbauten der Epoche vor und nach der Stadt­erweiterung betheiligte. Freilich muss da eingeschaltet werden, dass in dem damals noch zum öster­reichischen Besitz gehörenden lombardisch-venetianischen Königreiche der Feinziegelbau und die Terra- cottakunst in kaum unterbrochener Blüthe stand. Eine zweite Fabrik dieser Art wurde von der «Wiener­berger» unter dem Namen einer Thonwaarenfabrik 1851 in Inzersdorf am Wienerberge gegründet.

Eine neue Zeit begann für die Ziegel- und Thon-Industrie Oesterreichs mit dem Erlasse Sr. Majestät des Kaisers Franz Josef I., in welchem die Erweiterung der Stadt Wien angeordnet wurde. Nicht nur in Wien, sondern in alle Länder des grossen Reiches brachte dieser hohe Befehl Leben und Be­geisterung aber auch Arbeit und Verdienst im reichen Masse. Die Architektur erwachte aus ihrer durch die Baubureaukratie geschaffenen Lethargie. Man verliess die alten Bauschablonen und fieng wieder an, sich als schaffender Künstler zu fühlen. Grosse Aufgaben waren zu erfüllen, und es schien, da bisher jede Bethätigung an Monumentalbauten fehlte, an geeigneten Männern zu fehlen. Jede Zeit schafft sich die. Männer, die sie braucht. Und sie fanden sich auch. Die Namen der grossen Architekten der ersten Wiener Stadterweiterung, Förster, Hansen, Ferstel, Semper, Schmidt, Hasenauer u. A. werden in Oesterreich unvergessen bleiben.

Die Feinziegelei, die Herstellung von Verblendern, Formsteinen, Terracotta-Ornamenten fand durch den Riesenbau des k. k. Arsenals in Wien die Grundlage zu einer neuen und grossen Bethätigung. Obwohl damals alle gross angelegten maschinellen Fabriksanlagen fehlten, war die qualitative und quanti­tative Leistungsfähigkeit der Wiener Ziegelgewerkschaft für damalige Verhältnisse erstaunlich. Bekanntlich war dieser wuchtige Verblender- und Terracottabau im Jahre 1856 vollendet. Derselbe erforderte von 18491855 100 Millionen Mauerziegel und 16 Millionen Verblender.

Man fand an dieser Art des Faqadenbaues, der sich durch Schönheit und Wetterbeständigkeit auszeichnete, derartig Gefallen, dass zahlreiche Gebäude in dieser Bauweise ausgeführt wurden. So sind zu nennen die nunmehr der Demolirung verfallene Franz Josef-Kaserne in Wien, Försters Tempel der israelitischen Cultusgemeinde, Hansens griechisch-orientalische Kirche am Fleischmarkt. Einer späteren Zeit gehören der Börsebau, die evangelische Schule Hansens zu. Professor Ferstel, dem Schöpfer der Votivkirche, der auch in der Wiederbelebung des Steinbaues so bahnbrechend wirkte, kann mit Recht der erfolgreichste Förderer des Feinziegelbaues, der Terracotta und Baumajolicakunst genannt werden. Miesbachs Erbe, die Wienerberger Gewerkschaft, war unter Heinrich Dräsche durch die ausserordentliche Wiener Bauthätigkeit zu einer Ziegelfabrik ersten Ranges emporgewachsen. Im Jahre 1864 bestanden daselbst 250 Brennöfen alter Construction mit einem Fassungsraume von je 80.000 bis 125.000 Ziegeln.

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