begünstigte, ja verwöhnte Wiener Seidenmanufactur mit einem Schlage in einen gefährlichen Concurrenz- kampf mit den hochentwickelten, vielfach vorangeeilten Industrien Frankreichs, Deutschlands, Italiens und der Schweiz gedrängt, für deren Ueberproduction sich in unserer Monarchie plötzlich ein willkommenes, reiches Absatzgebiet neu erschloss.
Die Lage der Wiener Seidenfabrication gestaltete sich zu einer recht kritischen. Ihre Productions- weise war zu sehr mit den eigenartigen Wiener Verhältnissen verwachsen, zu abhängig von diesen, vielfach noch in altväterischen und zünftlerischen Formen erstarrt und auch in kleingewerblicher Weise zersplittert, um mit Erfolg die unabweislich gewordene Umgestaltung ihrer Unternehmungen in^den mechanischen Grossbetrieb nach dem Beispiele des Auslandes vollziehen zu können.
Die grössten Schwierigkeiten erwuchsen aus dem Wiener Boden selbst. Der Wiener Arbeiterschaft, ohne Verständnis für die Weltlage der Industrie und deren kritische Situation, ging jedes Anpassungsvermögen an die dringendsten Gebote der Zeit ab. Noch bedenklicher gestaltete sich die Sachlage, als in Folge einer damals eingetretenen Lebensmitteltheuerung die Löhne unaufhörlich stiegen, die hauptstädtische Arbeiterschaft dabei jedoch immer unverlässlicher und unbotmässiger für die Ansprüche der nothgedrungen gesteigerten Betriebsamkeit wurde und es obendrein noch zu höchst unzeitgemässen Strike- bewegungen kam !
In ihrer Bedrängniss unternahmen es dazumal (1858) die Wiener Seiden-Industriellen, an den Stufen des Thrones selbst über den verhängnissvollen Wandel der österreichischen Zollpolitik Klage zu führen.
Dieser Immediatschritt durch eine Deputation beim Kaiser hatte insoferne sofortigen Erfolg, als der Monarch das Zusammentreten einer Enquête anordnete, an deren Arbeiten unter dem Vorsitze des gewesenen Handels- und Finanzministers, Baron Baumgartner, die hervorragendsten Vertreter der Wiener Seiden-Industrie theilnahmen, welche rückhaltlos die trostlose Situation ihrer Branche darlegten. »Die Verkaufsgewölbe in Wien sind gegenwärtig so stark mit Ausländer Seidenwaaren überfüllt, dass es für die einheimischen Erzeugnisse überhaupt keinen Platz mehr gibt ! « heisst es wörtlich in einem dieser Berichte. Thatsächlich hatte die Enquete wenigstens das positive Ergebniss, dass bei der nächsten Erneuerung der Handelsverträge eine mässige, freilich noch immer unzureichende Erhöhung der einschlägigen Tarifsätze .des Einfuhrzolles durchgesetzt werden konnte. Einigermassen war es auch das hohe Agio, welches den Bezug ausländischer Seidenwaaren stark vertheuerte und so der einheimischen Production zu Hilfe kam.
Eine wirkliche und dauernde Sanirung derselben ist jedoch durch derartige halbe Massnahmen und Zufälligkeiten natürlich nicht zu erreichen gewesen. Die Mehrzahl der Wiener Fabrikanten erlag denn auch in dem ungleichen Concurrenzkampfe gegen die überlegene ausländische Seiden-Industrie. Wie immer, waren es hauptsächlich die mittleren und schwächer fundirten Firmen und Erzeuger, deren Existenzen die Krise zerstörte. Noch unmittelbar vor 1848 zählte die Gremialliste der Wiener Seidenzeugmacher mehr als 500 Namen. Sie ist in den darauffolgenden Krisenjahren geradezu decimirt worden. Nur die grössten und leistungsfähigsten Firmen der Branche vermochten sich in jenen schweren Zeiten auf dem Platze zu behaupten.
Und auch für diese war die Frage der Regenerirung, einer profunden Abhilfe der oben geschilderten misslichen Productionsverhältnisse, zu einem unabweislich dringenden Postulate geworden, wollten sie nicht das Schicksal der kleineren Erzeuger theilen. Die Seidenmanufactur als Wiener Haus- und Kleingewerbe war einfach unmöglich geworden in einem Zeitalter, wo das Ausland längst seine wohlorganisirte Gross- Industrie mit zahlreichen Etablissements in ländlichen Industriebezirken besass.
Die grossen Wiener Fabrikanten verschlossen sich also nicht länger der Ueberzeugung, dass der Wiener Boden für die Weiterexistenz der Seiden-Industrie unhaltbar geworden war. Von dieser Erkenntniss bis zur Auflösung der Wiener Etablissements und deren Verlegung in geeignetere Industrialdistricte der Kronländer war nur ein Schritt. Dort stand ja vor Allem eine weitaus billigere, an Fleiss und Intelligenz der ausländischen nicht unebenbürtige Arbeiterbevölkerung zu Gebote und waren es namentlich böhmische und mährische Grenzlandschaften, auf welche bei der Erörterung der Uebersiedlungsfrage besonders hingewiesen wurde.
Dorthin richtete sich also auch zuerst der Blick einiger thatkräftiger und weitausschauender Männer unter den Wiener Fabriksherren und so entstanden zuerst einige grosse Fabriks-Etablissements in Mährisch- Trüb au, Mährisch-Schönberg, Chrostau, Neurettendorf, Römerstadt u. s. w., deren Betrieb sich bald in der glücklichsten Weise erfolgreich behaupten konnte.
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