Die im Jahre 1860 in Bodenstadt im Kronlande Mähren errichtete Filiale, welche nur als provisorisches Auskunftsmittel betrachtet werden konnte, hatte nicht die gewünschten Erfolge. Die billigen Arbeitslöhne konnten den Abgang geschulter Arbeitskräfte, welche zur Erzeugung brauchbarer Seidenstoffe nothwendig sind, nicht ersetzen; es währte viele Jahre, bis endlich ein kleiner Stamm von verwendbaren Handwebern herangebildet war.

In diese Zeit fällt auch eine geschäftliche Stagnation, hervorgerufen durch die Kriege in den Jahren 1859 und 1866.

Der Eintritt des zweiten Sohnes, Ferdinand Flemmich, als öffentlichen Gesellschafters der Firma ver­ursachte insoferne eine Aenderung in der Ausgestaltung des Unternehmens, als dieser hauptsächlich das Gebiet der technischen Arbeiten übernahm, während der ältere Sohn, dem bisher die Gesammtleitung des Geschäftes oblag, nunmehr die mercantilen Agenden zu leiten hatte; es war somit eine dem künftigen Aufschwünge förderliche Theilung der Arbeit eingeleitet.

Die Absicht, den Umfang des Geschäftes zu erweitern, brachte die Idee zur Reife, die Filiale in Bodenstadt aufzugeben, weil durch den Mangel an Arbeitskräften eine weitere Ausdehnung des Betriebes dort unmöglich war, und an die Erbauung einer neuen Fabrik zu schreiten. Der Gedanke, die noch in Wien befindliche Betriebsstätte und auch die Filiale in einem der Neuzeit entsprechenden Fabriksgebäude unterzubringen, beherrschte einige Zeit die Inhaber der Firma.

Im Jahre 1871 bot sich die Gelegenheit, in dem Städtchen Römerstadt in Mähren einen Grundcomplex käuflich zu erwerben. Im folgenden Jahre begann der Bau der neuen Fabrik, wobei mit dem alten Systeme der mehrstöckigen Gebäude, als ungeeignet für Webereien und in technischer und hygienischer Beziehung nicht entsprechend, gebrochen wurde.

Die neuen Betriebslocalitäten sind grosse, ebenerdige Säle mit Schuppendächern, sogenannte Shedbauten.

Mit der Errichtung dieses Etablissements beginnt für die Theilhaber des Geschäftes eine neue Epoche.

In diese Zeit fällt - der Rücktritt der Frau Julianna Flemmich vom Geschäfte, welche sich nach einer 36jährigen, ehrenvollen Thätigkeit in das Privatleben zurück­zog. Nun übernahmen die beiden Söhne für alleinige Rechnung die Fortführung des Geschäftes und wendeten ihre ganze Aufmerksamkeit der Einrichtung und Inbetriebsetzung der neuen Anlage zu. Dieselbe erforderte ebenso viel Umsicht als Verständnis; Herr Ferdinand P'lemmich hat sich mit dieser im wahren Sinne des Wortes geltenden Musteranlage unleugbare Verdienste um die Hebung der Seiden­industrie in Oesterreich erworben. Die unzweifelhaft grosse Bedeutung, zu welcher die Weberei auf mechanischen Stühlen gelangt war, und die umwälzende Kraft der modernen Technik, welche sich mächtig Bahn brach, veranlassten die Firma, den Betrieb nach den neuesten technischen Errungenschaften einzurichten. Besonders die Erzeugung von mittleren und minderen Qualitäten, sogenannten Consumartikeln, deren Herstellung nur im grossen Maassstabe gewinn­bringend sein kann, verdrängte nach und nach die Handweberei.

In den Achtzigerjahren begann die Firma ihr Augenmerk auf die Erzeugung von Hochmodestoffen für Damen­kleider und Confection zu richten und hat damit grosse Erfolge erzielt. Die mit dem auserlesensten Geschmacke und in vollendetster Ausführung erzeugten Stoffe werden von der Elite der Wiener Kaufmannschaft mit Vorliebe gekauft und war hier der Erfolg ein umso grösserer und glücklicherer, als die ausländischen Fabrikate zum grossen Theile dadurch vom österreichischen Markte verdrängt worden sind.

Das Etablissement hat in seiner jetzigen Ausdehnung, wie es das an der Spitze dieser Schilderung befindliche Bild zeigt, einen Flächenraum von 140.000 Quadratmeter, wovon auf die verbaute Fläche 9800 Quadratmeter ent­fallen. Gegenwärtig sind 420 mechanische Stühle in Thätigkeit, von denen die grössere Hälfte mit einer Dampf­maschine von 100 Pferdekräften, die kleinere Hälfte elektrisch betrieben wird.

Das Unternehmen beschäftigt 600 Arbeiter.

Zur Vervollständigung der Geschichte der Firma A. Flemmichs Söhne muss noch erwähnt werden, dass zwischen den Chefs und ihren Bediensteten stets ein ungetrübtes Einvernehmen herrschte und dass auch den socialen Anforderungen der Zeit durch Errichtung einer Fabrikskrankencasse Rechnung getragen wurde. Die Beiträge hiezu werden von den Arbeitern mit zwei Procent des Lohnguldens eingehoben und 50 Procent von diesem Betrage werden von der Firma bezahlt. Die Führung der Krankencasse haben die Arbeiter in selbstständiger Verwaltung unter un­entgeltlicher Beihilfe eines Fabriksbeamten.

Lobende Anerkennungen und Auszeichnungen für ihre Fabrikate erhielt die Firma bei den Weltausstellungen in London 1862 und Wien 1873.

Das Absatzgebiet für die Erzeugnisse der Firma beschränkt sich nicht nur auf Wien und die Kronländer der österreichisch-ungarischen Monarchie, sondern erstreckt sich auch auf Deutschland, England und den Orient.

Es würde über den Rahmen dieser Schilderung hinausreichen, den Entwickelungsgang dieses Unternehmens nach allen Richtungen erschöpfend zu behandeln; aber aus dem Gesagten lässt sich schon entnehmen, dass ein aus unbedeutenden Anfängen begonnenes Werk durch jahrzehntelanges, unermüdliches Schaffen und Vorwärtsstreben zu einer Achtung gebietenden Grösse emporgewachsen ist und sich in der österreichischen Industrie einen ehrenvollen Rang errungen hat.

Die Gross-Industrie. IV.

41