Thatsächlich beginnt auch seit jener Zeit die Regierung der Einführung der Fabriken auf dem Gebiete der Tuch- und Zeugmacherei volles Augenmerk zu schenken und durch ihre Intervention der Neubelebung des Tuchmachereigewerbes Kräfte zuzuführen. Im Jahre 1672 wurde in Linz die erste Feintuch- und Wollzeugfabrik errichtet, welche Tücher auch englischer und niederländischer Art zu verfertigen anfieng und von dem Linzer Bürger Christian Sint unter Ausstattung mit zahlreichen Privilegien, Vorrechten und Begünstigungen — unter Anderem auch dem Niederlagsrechte — begründet wurde.
Ganz zielbewusst wurde diese gewerbefördernde Thätigkeit unter der Regierung Karls VI. durchgeführt, der die Friedenszeit der Erblande zu bedeutenden culturellen Fortschritten zu benützen wusste. Im Jahre 1727 gewährte er der von dem böhmischen Oberst-Landmarschall Johann Josef Grafen von Waldstein in Oberleutensdorf zur Verfertigung feiner Tücher angelegten Manufactur Zollbegünstigungen, wie auch den wollenen feinen Zeugen, welche Alois Kössler-Sprengeisen zu Grottau in seiner Fabrik verfertigte. In der von Graf Waldstein in Oberleutensdorf angelegten Tuchfabrik würden die ersten Arbeiter aus Holland beschäftigt.
In Bielitz, wo die Tuchmacherzunft 1733 bereits 271 Mitglieder zählte, in Troppau und Neu- titschein, welches letztere 1743 an 300 Tuchmacher aufwies, gieng das Gewerbe rasch in die Höhe. In Iglau führte der Widerstand der Zunft gegen eine freiere Gewerbe- und Handelsthätigkeit auf dem Gebiete der Tucherzeugung zu der überaus bemerkenswerthen Erscheinung, dass sämmtliche Tuchmachermeister — nahezu ein halbes Tausend an der Zahl — als eine grosse Tuchfabrik behandelt wurden, die unter staatlicher Aufsicht functionirte. Das Jahr 1726 hatte das Wiederaufleben einer Woll- und Tuch- handlungs-Societät gesehen, welcher der ausschliessliche Woll- und Tuchhandel in Iglau zustand. Die Societät konnte aber vermöge des Zwanges und der Scherereien, welche sie den Zunftmitgliedern auferlegte, nicht über die ursprünglich in Aussicht genommene Dauer von drei Jahren bestehen, nach welcher Frist sie mit Schaden liquidirte. Zwei Rathscommissäre mit einem staatlichen Oberinspector leiteten nach Mass- gabe der von Karl VI. ertheilten Tuchmacherordnung, die im Jahre 1767 ergänzt wurde, das Iglauer Tuchhandwerk, das in der Handelswelt unter dem Namen einer »Tuchgewerbschaft« als ein ansehnliches Handelshaus auftrat, welches A’erbindungen mit dem Auslande in erfolgreicher Weise aufrecht erhielt.
Mit besonderem Eifer und nachdrücklicher Energie fasste die grosse Kaiserin Maria Theresia die Förderung des Gewerbe- und Handelsfleisses auf, für die sie in dem Commerzdirectorium in Wien und in den Commerzconsessen in den Kronländern einen besonderen Verwaltungsapparat schuf. Bedeutsam ist es, dass der unter der Regierung der Kaiserin so ausserordentlich geförderte Volksunterricht auch mit der industriellen Schulung der Bevölkerung in Verbindung gebracht wurde, wie z. B. Kindermann in Böhmen in den Mädchenschulen das Spinnen einführte. Vor Allem aber gab die Kaiserin dem Gewerbe freie Bewegung dadurch, dass sie am 14. April 1755 die Wollmarktfrachten einführte, und feste Normen, indem sie am 20. Juni desselben Jahres die Blattbinder- und Tuchmachersatzung, am 4. Juli 1755 die Woll-, Spinn-, Walk- und Tuchschererordnung herausgab. Die Kaiserin liess auch Spinnschulen errichten, gab Prämien für die Schulen und liess die Spinnerei vollständig frei vom Zunftzwange. Ihr Rescript vom 20. Juli 1765 erlaubte »jedem Tuchmachermeister in Hinkunft so viele Stühle sowohl auf die feine als grobe Fabricatur zu halten und darauf so viele Gesellen und Jungen zu fördern, als es seinem Nahrungstriebe fürträglich zu sein selbst ermessen wird«.
Nach Iglau liess die Kaiserin niederländische Tuchmacher kommen, welche die Iglauer in der Fabri- cation feiner Tücher nach englischer und niederländischer Art aus spanischer Wolle unterrichteten und insbesondere auch die Kunst der Appretur einführen sollten. Die Edlen v. Wueste aus Holland, von denen Alois v. Wueste später in Wien eine grossartige Appreturanstalt begründete, seien hier genannt.
Gleichzeitig wurde die Einfuhr fremder Tücher durch eine ausgedehnte Erhöhung der Zölle erschwert. Besonderes Augenmerk widmete aber die Kaiserin der Veredlung der Wolle. Herden von spanischen Merinoschafen wurden auf kaiserlichen Herrschaften, wie Hollitsch, eingeführt, und es gelang der stetigen und sorgfältigen Zucht, insbesondere durch die Fürsorge der Regierung Kaiser Josefs II. und durch die Aufnahme dieser Bestrebungen auf grossen Herrschaften, es dahin zu bringen, dass Oesterreich im Beginne des 19. Jahrhunderts eines der wichtigsten Productionsgebiete feiner Wollsorten wurde, das neben Deutschland, vor Allem Sachsen und Schlesien, den ersten Rang behauptete.
Gerade die Erfolge auf dem Gebiete der Wollproduction sollten zur Folge haben, dass durch das Vorhandensein eines besonders feinen und brauchbaren Rohstoffes im Lande, auf dessen Bezug das Ausland angewiesen war, die einheimische Tuchfabrication einen Vorzug und eine Begünstigung gewann, die
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