dorfs in erster Linie. Die Modewaare aus Brünn, die Tuche Reichenbergs, die gute Mittelwaare von Jägerndorf und Bielitz errangen sich ungetheilte Anerkennung.

Noch mehr gilt dies von der Londoner Ausstellung 1862, bei der die österreichische Schafwoll- waaren-Industrie bereits als ein wichtiger Factor des internationalen Exportverkehres aufzutreten vermochte. Eine wichtige und für die Entwickelung vor Allem der Brünner Industrie sehr bedeutungsvolle Neuerung wurde anlässlich der Pariser Weltausstellung 1855 in Erfahrung gebracht: Die ins Einzelne gehende Ver- werthung aller Abfallstoffe der Wollerzeugung. Einzelne unternehmende Männer, unter denen Adolf Löw in Brünn, der Begründer der Firma Adolf Löw & Schmal jetzt Adolf Löw & Sohn in erster Linie zu nennen ist, erkannten die ausserordentliche Wichtigkeit des Principes der Verwerthung der Abfallstoffe als der Grundlage der Erzeugung billiger, für den Massenconsum auch der mindest consumfähigen Classen der Bevölkerung geeigneter, dabei aber im Aussehen gefälliger und sonst zweckdienlicher Waare. Der im Jahre 1857 eingeführte hohe Ausfuhrzoll auf Hadern hielt das wichtige Rohmaterial im Lande zurück; die Erzeugung und Verwendung von Kunstwolle kam rasch in Aufnahme. Diese Massenfabrication billiger Waare bewährte sich umso leichter, als es ihr gelang, bei der Bevölkerung andere Bekleidungsstoffe zu verdrängen und selbst in den Consum des weiblichen Theiles der Bevölkerung immer mehr zu gelangen. Insbesondere war dies aber der Fall, als in Folge des amerikanischen Secessionskrieges die Baumwoll- preise ausserordentlich stiegen und einen Rückschlag auf die Baumwoll-Industrie ausübten.

Es soll allerdings nicht verkannt werden, dass die Aufnahme dieser Surrogat-Industrie auch ge­eignet war, den guten Ruf des Brünner Platzes zu schädigen, weil die auf Täuschung berechnete Waare zunächst mit guter Waare concurrirte und erst später durch ihren sehr bedeutenden Preisunterschied das Publicum auf die von vornherein bestehende Unterscheidung aufmerksam machte. Speciell die Aufnahme dieser Massenerzeugung, welche auch durch die mechanische Arbeitsmethode und die grösste Ausnützung der Betriebsanlagen und Betriebseinrichtungen gefördert wurde, gab dem Kleinbetriebe den Todesstoss.

Die Verbindungen, welche die österreichische Schafwoll-Industrie, insbesondere Brünn, mit den amerikanischen Staaten angeknüpft hatte, erwiesen sich als besonders bedeutungsvoll, als nach dem Ende der Secessionskriege der amerikanische Markt sich in einer nie geahnten Weise öffnete. Erfolgreiche Ver­bindungen waren aber auch namentlich mit den Donau-Fürstenthümern angeknüpft worden, wodurch ein Ersatz für den zum grössten T'heile eingetretenen Verlust des italienischen Marktes, den die politischen Ereignisse der Jahre 1859 und 1866 herbeiführten, geboten wurde.

Diese intensive Betheiligung der Woll-Industrie am Weltverkehre brachte gleichzeitig mit der nach dem Unglücksjahre 1866 erfolgten, durch die glänzende Ernte des Jahres 1867 und durch die Consoli- dirung der inneren und äusseren Verhältnisse herbeigeführten Erstarkung des inneren Wirthschaftslebens der Woll-Industrie Oesterreichs ihre glänzendste Periode, die allerdings nur den Zeitraum vom Jahre 1867 bis zum Jahre 1870 umfasste. Bezeichnend für den blühenden Stand der Industrie ist es, dass z. B. im Jahre 1867 in Brünn von einem Productionswerthe von nahezu 23 Millionen Gulden mehr als 7 Millionen auf den Export, hievon die Hälfte auf den nordamerikanischen Markt, entfielen.

Den Umschwung, welcher zu geradezu kritischen Verhältnissen führen sollte, bereitete der im Jahre 1869 erfolgte Abschluss der Nachtrags-Convention mit England vor, der durch die Meistbegünsti­gungsverträge nicht nur diesem Staate, sondern vor Allem auch Belgien den österreichischen Markt für Schafwollwaare öffnete. Der österreichische Kaufmannsstand begünstigte die Einfuhr der fremdländischen Fabrikate, da insbesondere die überaus entgegenkommenden Bezugs- und Begleichsconditionen, vor Allem der englischen Commissionäre, ihm entsprachen. Zugute kam dem fremdländischen Importe auch die Absatzorganisation, welche den Fabrikanten von dem directen Verkehre mit der Kundschaft ent­lastet und überaus capitalskräftige Commissionshäuser einschiebt, welche mit den reichhaltigsten Muster- collectionen jedem Bedarfe zu entsprechen und durch die bequemen Zahlungsbedingungen insbesondere auch der Schneiderkundschaft entgegenzukommen vermochten. Diese Ueberfluthung des heimischen Marktes traf zusammen mit dem wirthschaftlichen Zusammenbruche im Jahre 1873, von dem sich das Wirth- schaftsleben erst nach Jahren erholen konnte. Zahlreiche Unternehmungen verfielen dem Bankerotte und auch die kräftigsten und grössten Firmen wurden in ihrem Bestände schwer erschüttert.

Eine vollständige Umwälzung hatte während dieser Periode auch die continentale und mit ihr die österreichische Wollproduction erfahren, deren Folgen auch die Entwickelung der Schafwoll-Industrie sehr wesentlich beeinflussten. Die Regulirung der Weidedienstbarkeiten, die Zunahme der Pachtwirthschaft, die

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