ihren ausschliesslich capitalistischen Charakter. Dem kleinen Meister fehlen die nöthigen Betriebsmittel, um sich in der Anschaffung des Rohmaterials und in der Verwerthung der Waare selbstständig zu erhalten. Seine Arbeitsmethoden und Betriebseinrichtungen entsprechen nicht mehr dem täglich sich erweiternden Fortschritte der Technik der Waarenerzeugung. Dem wechselnden Gange der Conjuncturen nicht gewachsen, ist er gedrängt, seine Waare auch zu einem ungünstigen Zeitpunkte zu veräussern. Er wird das Aus­beutungsobject des Zwischenhändlers und seine wirthschaftliche Selbstständigkeit ist nur mehr eine scheinbare. Begünstigt sind noch diejenigen der Kleinmeister, welche es vorziehen, den Schein zu opfern und in den grossen Fabriken, welche in immer grösserer Zahl entstehen und in denen die Dampfkraft die Maschinen Tag und Nacht in hastiger, schaffender Bewegung erhält, Unterkunft als Meister, wenn nicht als Arbeiter zu suchen. Insbesondere besiegelt ist das Schicksal des selbstständigen Tuchmachers, als die Nothwendigkeit, dem Bedürfnisse des consumirenden Publicums nach billiger Waare zu entsprechen, zur Massenfabrication führte. Die Masse der erzeugten Waare bringt den Ersatz für die Minderung des Gewinnes am einzelnen Stücke. Es tritt die Nöthigung ein, den Betrieb möglichst ökonomisch zu gestalten und eine ins Einzelne gehende ATrbilligung der Productionskosten herbeizuführen. Hiezu erscheint der Weg gegeben in der Concentration des gesammten Productionsprocesses in einem einzelnen Unternehmen. Immer grösser wird die Anzahl der Fabriken, in welche das Rohproduct, die Wolle, hereingebracht wird, um als verkaufsfertige Waare das Haus zu verlassen. Die Nöthigung der genauesten Calculation der Erzeugung und der besten Ausnützung aller Conjuncturen für Ankauf und Verkauf macht den besten Kaufmann auch zum besten Fabrikanten. Es bereitet sich allmälig jene Zeit vor, in welcher der Fabrikant auch den kaufmännischen Absatz seiner Waare zum grössten Theile selbst besorgt und insbesondere durch die Bereisung der Kundschaft durchführt. Endlich tritt durch die erhöhte Aufnahme der Modewaaren- fabrication die Theilung der beiden Saisonen ein, welche den Umsatz beschleunigt.

Allen diesen Verhältnissen ist der Kleinbetrieb absolut nicht gewachsen. Mit grausamer Unerbitt­lichkeit verdrängt ihn die capitalistische Productionsweise vom Platze. Bezeichnend ist das Beispiel Iglaus, welches insbesondere der Concurrenz der Briinner Fabrication erlag. Im Jahre 1856 waren von 754 Tuch­meistern Iglaus nur noch 80 selbstständig, die sich kümmerlich ernährten. Die meisten hatten Unterkunft in den Fabriken gefunden, welche in Altenberg, Beranau und in Helenenthal bei Iglau zu Beginn der Fünfzigerjahre gegründet worden waren. Die einst so hoch angesehene und reiche Zunft war dem Sturme der neuen Zeit nicht gewachsen und schritt, von Schulden belastet, dem Untergange entgegen. Nur in Reichenberg behauptete sich noch immer der kleine Erzeuger, begünstigt durch die Specialität der Waare, welche der Reichenberger Platz vornehmlich producirte, und gefördert durch die Einrichtungen, welche die Tuchmachergenossenschaft der Gesammtheit bot.

Die Gewerbefreiheit, welche im Jahre 1859 dem Zunftzwange in Oesterreich ein Ende setzte, war für die Schafwollwaaren-Industrie nur von rein formeller Bedeutung, da bereits der innere wirthschaftliche Process vorgearbeitet und durch die mächtige Entwickelung des Fabricationssystems der unbeschränkten Productionsfreiheit die Wege gebahnt hatte.

Im Jahre 1857 war zunächst für fünf Jahre die zollfreie Einfuhr von mechanischen Stühlen gestattet worden, deren Anwendung immer mehr in Aufnahme kam und insbesondere für Brünn und Jägerndorf, wo die Kraftstühle bald zum herrschenden Betriebsmittel wurden, einen Vorsprung in der Entwickelung gegenüber Reichenberg gewährte, das erst gegen den Beginn der Achtzigerjahre die technischen Fort­schritte in reicherem Maasse übernahm.

Die Vervollkommnung und Verbilligung des Productionsprocesses, welche in der Färberei durch die Errungenschaften der modernen Farbenchemie erreicht wurden, die Vervollkommnung der Reinigung der Wolle durch den Carbonisationsprocess, die Fortschritte auf dem Gebiete der Wollwäscherei und der Appretur und insbesondere auch die ausserordentlichen Fortschritte, welche das Spinnverfahren durch die Erfindung des Selfactors und die wesentliche Verbesserung und Vereinfachung der Krämpelmaschinen und die Weberei durch die zweckmässigere Ausführung der Kraftstühle und die Beschleunigung ihres Ganges gemacht hatte, wurden nach dem Maasse des Kennenlernens und der Gewährung allmälig aufgenommen.

Auf den Weltausstellungen in Paris 1855 und London 1862 wurden insbesondere diese technischen Fortschritte in ihrer ausserordentlichen Productivität kennen gelernt. Bei diesen internationalen Wett­bewerben vermochte aber die österreichische Tuch-Industrie auch einen raschen Fortschritt zu erweisen. Schon bei der Weltausstellung in Paris 1855 standen die Erzeugnisse Brünns, Reichenbergs und Jägern-

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