Dokument 
Die Groß-Industrie Oesterreichs : Festgabe zum glorreichen fünfzigjährigen Regierungs-Jubiläum seiner Majestät des Kaisers Franz Josef I. dargebracht von den Industriellen Österreichs 1898 ; Vierter Band
Entstehung
Seite
70
Einzelbild herunterladen

Nachdem die Geschichte der Reichenberger Tuchmacherzunft untrennbar verknüpft erscheint mit der Einführung, dem Anwachsen und dem derzeitigen Bestände der Tuch-Industrie in Reichenberg, so möge hier, ehe an die Darstellung der derzeitigen Verhältnisse dieser Industrie gegangen wird, ein kurzer Auszug aus dieser Geschichte seinen Platz finden.

Wie oben bereits angedeutet, erfolgte die Einführung der Tuchmacherei in Reichenberg durch daselbst im Jahre 1579 eingewanderte Wollenweber, als deren frühere Wohnstätten Seidenberg und Fried­land bezeichnet werden. Sofort nach ihrer Einwanderung gründeten die Tuchmacher eine zünftige Vereinigung, indem sie die Wolle gemeinsam kauften, auf der Gemeindeaue, am Neisseflusse, ein gemeinsames Färbe­haus errichteten und ihre Tuche, die nach gepflogener Beschau mit einem eigenen Zechsiegel bezeichnet wurden, in einer von der Grundherrschaft gepachteten Walkmühle walken Hessen.

Im Jahre 1592 erhielten die Reichenberger Tuchmacher von der Grundherrschaft bereits zünftige Rechte und ein eigenes Handwerkssiegel; im Jahre 1599 wurde ihnen von Melchior Freiherrn v. Rädern das erste Privilegium ertheilt, beziehungsweise die von den Aeltesten verfassten Zunftartikel confirmirt. Der Wortlaut dieses Privilegiums erbringt den Beweis, dass im Jahre 1599 bereits eine grössere Zahl von Meistern das Tuchmachergewerbe betrieb, dass selbe Gesellen, Lehrlinge und Spinner beschäftigten und Tuche von dreierlei Qualität und verschiedener Farbe erzeugten.

Im Jahre 1619 war die Anzahl der hier beschäftigten Tuchmachergesellen bereits so zahlreich, dass denselben von der Zunft eine eigene Knappenordnung ertheilt wurde.

Die Bestätigung der zünftigen Privilegien erfolgte später von nahezu jedem der wechselnden Grundherren.

Der Flor, in welchen die Tuchmacherei in Reichenberg unter der Herrschaft der Freiherren v. Rädern (15791622) gekommen war, erlitt durch den Uebergang der Rädernschen Besitzthümer an Albrecht v. Waldstein keine Einbusse. Der grosse Heerführer sorgte dafür, dass den Tuchmachern Reichen­bergs ein bedeutender Antheil an den Lieferungen für den Heeresbedarf überwiesen wurde, er vergrösserte die Walkmühle und überliess der Zunft unter günstigen Bedingungen 1633 auf der von ihm erbauten Neustadt zwei Eckhäuser, das eine zum Meisterhause, das andere zum Knappenhause. Die Zunft erbaute zugleich im Jahre 1634 (dem Todesjahre Wallensteins) ein neues geräumigeres Färbehaus.

Erst nach dem Tode Wallensteins brachen die Schrecknisse des 30jährigen Krieges mit voller Gewalt über Reichenberg herein, lähmten Handel und Gewerbefleiss und stürzten die Stadt in Noth und Armuth. Was der Krieg noch verschont hatte, das besorgte schliesslich die Gegenreformation; von den 120 Tuchmachermeistern, welche 1649 hier noch existirten, wanderten die besten und tüchtigsten, nahezu die Hälfte der Meister, ins Elend, verliessen Hab und Gut, um an ihrem protestantischen Glauben festzu­halten und fanden in Zittau und den benachbarten Städten der Oberlausitz willige und freundliche Aufnahme.

Lange Jahre vergiengen, ehe sich die Tuchmacherzunft von diesen Schlägen erholte. Die Zunft fand wohl Ersatz für die ausgeschiedenen Mitglieder durch die Zuwanderung neuer Meister aus den mährischen und schlesischen Tuchmacherstädten und auch der durch den langen Krieg unterbrochene Consum begann allmählich sich wieder zu heben. Allein nunmehr bedrückte die Grundherrschaft (Grafen Gallas) das neu- aufblühende Gewerbe durch Frohnden und Abgaben in jeder Art und Weise. Die Walkzinse und das Stuhlgeld wurden erhöht, von jedem Stein eingeführter Wolle musste eine Abgabe von drei Kreuzern (der Wollegroschen) in die herrschaftlichen Renten bezahlt werden, während den Tuchmachern für die ein­heimische Wolle, zu deren Abnahme dieselben gezwungen wurden, ein weit höherer als der Marktpreis berechnet wurde; zu guterletzt musste die Zunft sämmtliche Wolle und die Farbmaterialien aus einer zu diesem Zwecke errichteten herrschaftlichen Niederlage zu einem der Herrschaft beliebigen Preise entnehmen. Im Jahre 1700 erlangte die Zunft das Recht des freien Wolleeinkaufs, das von Kaisern und Königen den Tuchmachern verbrieft worden war, dadurch wieder, dass sie sich verpflichtete, der Herrschaft alljährlich ein Pauschalquantum von 500 fl. zu bezahlen.

Nach dem Frieden von Rastatt, durch welchen Oesterreich ausser den Niederlanden Neapel, Sardinien, Mailand und die Schutzstaaten zugewiesen erhielt, gewann der Handel neue Absatzgebiete. Zudem sorgte

Liebenau, Böhmisch-Aicha, Gabel, Niemes, Leipa, Hühnerwasser, Auscha, Aussig, Türmitz, Teplitz, Komotau, Neudeck, Kaaden, Brüx, Eger, Asch, Winterberg, Prachatitz, Mies,- Budweis, Krumau, Wittingau, Neuhaus, Pocatek, Humpoletz, ferner in den tschechischen Städten: Hohen- mauth, Skalitz, Leitomischl, Reichenau, Eisenbrod, Lomnitz, Sobotka, Münchengrätz, Weisswasser, Schlan, Wodnian, Klattau, Pilsen, Rokitzan. Deutschbrod, Kuttenberg, Chrudim und Tabor.

70