Dokument 
Die Groß-Industrie Oesterreichs : Festgabe zum glorreichen fünfzigjährigen Regierungs-Jubiläum seiner Majestät des Kaisers Franz Josef I. dargebracht von den Industriellen Österreichs 1898 ; Vierter Band
Entstehung
Seite
85
Einzelbild herunterladen

mit den früher erwähnten auf dem Gebiete der Gross-Industrie einen hervorragenden Rang einnimmt. Die Hauptartikel aller vorerwähnten Unternehmungen, welche sie zu ihrer Grösse emporgearbeitet haben, waren im Anfänge die schon früher besprochenen aus englischen harten Garnen, sogenannten »Wefts«, gewebten Waaren, wie Merinos, Orleans, Lastings, dann die gedruckten Cireas, Thibettücher, schwarzen Orleanstücher und Wollatlas, später Halbwollenstoffe, sogenannte Halb-Kammgarne, aus weichen Wollgarnen erzeugt. Heute hat sich die Industrie aber ausserdem noch auf ganzwollene Damenkleider und Con- fectionsstoffe geworfen.

Die zu den ersterwähnten Artikeln nöthigen harten Lustre- oder Weftgarne kamen alle aus England, wo man die lange Wolle von Leicester und Lincolnshire dazu verwendete. Sorgfältige, mit jahrelangen Mühen fortgesetzte Versuche, diese Garne auch aus dem inländischen Rohproduct herzustellen, haben er­wiesen, dass mehrere Sorten ungarischer, siebenbürgischer und wallachischer Wolle sich zur Erzeugung von hartem Kammgarn wegen ihres Stapels eigneten. Obwohl nun diese Garne an Qualität und Gleich­heit des Fadens den englischen Worstedgarnen gleichstanden, so ersetzten sie doch letztere nicht für alle Webartikel, weil unser Rohstoff nicht so viel Glanz besitzt, und daher kommt es auch, dass heute noch Massen obiger Garnsorten nach Oesterreich eingeführt werden, ohne der inländischen Fabrication Eintrag zu thun.

Was die feinen, weichen Kammgarne anbelangt, so waren sie hauptsächlich französischen Ursprungs. Die Frage, woher es kommt, dass die Kammgarn­spinnerei Anfangs in Oesterreich, wo doch der Rohstoff selbst in so reichlicher und vorzüglicher Weise vorhanden war, keinen Boden fassen und mit dem schnellen Emporblühen der Weberei­branche nicht gleichen Schritt halten konnte, muss

dahin beantwortet werden, dass die Kammgarn- 0 ,"

Spinnerei ein verhältnismässig hohes Anlagecapital und namentlich bedeutende Betriebsfonds erfor­dert, und ausserdem vor Allem, dass dieser In­dustriezweig bei uns gegenüber der Concurrenz des Auslandes lange schutzlos dastand.

Unter dem Schutze des Prohibitionssystems erfolgten die ersten Gründungen der Wollmanu facturen und kamen die Yortheile derselben den ;

jungen Geschäften in jeder Weise zu statten. Leider aber brachten die Vierzigerjahre durch die traurige Lage der Landwirthschaft und die stets schwankenden politischen Verhältnisse, insbesondere, als noch in den Jahren 1848 und 1849 die Hauptmärkte Ungarn und Italien versperrt wurden, schlechte Geschäfte mit sich. In den Jahren 1850 und 1851 gestaltete sich glücklicherweise der Manufactur- und Geldmarkt wieder günstiger und der zweckmässigen Benützung vortheilhafter Geld- und Absatzconjuncturen verdankte eine grössere Anzahl neuer Gross-Industrieller ihr Emporkommen.

1852 kam endlich durch den Handelsminister Freiherrn v. Bruck die Prohibition zu Falle, deren Fortbestand auch der österreichischen Wollmanufactur nicht mehr von Nutzen sein konnte und traten nun die österreichischen Wollwaaren in die völlig freie Concurrenz mit den Staaten des Zollvereins, was für dieselben von dem grössten Yortheil sein sollte, nachdem die Concurrenz, das Freihandelsystem, die Fabri­kanten zwang, auf Zweckmässigkeit, Schönheit, Neuheit und vor Allem Billigkeit zu sehen, um ihre Stellung gegenüber der mächtigen Concurrenz zu behaupten und ihren Absatz zu sichern.

Die Wollwaaren-Industrie nahm dadurch in den darauffolgenden Jahren einen nie geahnten Auf­schwung, der Unternehmungsgeist erwachte und allenthalben folgte gegen die Siebzigerjahre zu eine Gründung der anderen. Sowohl die Zollverhältnisse, welche durch das Appreturverfahren und durch die Nachtrags-Convention mit England 1871 ins Leben traten, als auch das unheilvolle Jahr 1873 mit seinem finanziellen Krache wirkten auf die gesammte österreichische Wollmanufactur stagnirend ein.

Erst nach der Krisis des Jahres 1873 begann die schutzzöllerische Bewegung in den öster­reichischen Ländern, welche zu den autonomen Zolltarifen von 1878, 1882 und 1887 führte, die besondere auf die Einfuhr englischer und französischer Waare hemmend einwirkten. Dies beweisen die Zolleinnahmen

Breitspannen und Trocknen der Waare 18

85