Das Darniederliegen von Handel und Gewerbe während der napoleonischen Kriege traf Oesterreich zur selben Zeit, als das vom Kriege verschonte England die neuen Erfindungen zu seinen Massenproductionen von Halbleinen- und Ganz-Baumwollwaaren auszunützen begann. Die Continentalsperre von 1806 konnte den Zustand nur verschlimmern. Die Baumwoll-Spinnmaschine war der mechanischen Flachsspinnerei lange zuvorgekommen. Erst 1817 erfanden die Brüder Girard die Flachs-Spinnmaschine, und nicht allein, dass sie den von Napoleon 1810 auf dieselbe ausgesetzten Preis nie erhielten, man sprach ihnen sogar in der eigenen französischen Heimat das Verdienst der Erfindung ab, so dass zum Schlüsse auch hierin England mit der raschen Einführung der mechanischen Flachsspinnerei allen anderen Ländern den Vorsprung abgewann.
In gleicher Weise wie in der Spinnerei feierte die mechanische Erzeugung in der Weberei ihre Triumphe über die alte Handarbeit. Schon 1785 wurde der Cartwright’sche mechanische erste Webstuhl, 1808 der Jacquardstuhl für Damastgewebe, 1825 Robert’s selbstthätiger Mulestuhl erfunden. Ja, selbst an die Stelle des alten, langdauernden Bleichverfahrens begann seit Bertholet (1785) und Mac Intosh die schnelle, wenn auch das Gewebe angreifende Kunstbleiche zu treten. Kaum könnten wir an dieser Stelle alle jene sich in den Einzelheiten der fabriksmässigen Erzeugung verlierenden und noch lange nicht abgeschlossenen Erfindungen aufzählen, durch welche die fabriksmässige, mechanische Erzeugung von Stufe zu Stufe den Handbetrieb verdrängte. Das erste Viertel unseres Jahrhunderts ist der Vorbereitungs- process für diese Umwälzung des volkswirthschaftlichen Lebens der europäischen Staaten sowohl, als des gesellschaftlichen und Erwerbslebens der Einzelnen. In keinem Erwerbszweige aber spielen sich diese Folgen lebhafter ab, als in allen Zweigen des Leinengewerbes, denn sie greifen in das innerste Leben der Familie, wo sie die Frau von ihrem Spinnrade und aus der Spinnstube verdrängten, wo sie den Zauber des Stolzes vom Leinenschrank der Hausfrau nahmen, wo sie aber auch der grossen Masse der landwirth- schaftlichen Bevölkerung armer flachsbauender Gebirgsgegenden den Erwerb durch die einzige geldbringende Feldfrucht und die Arbeit der Wintermonate entrissen. Einen Sturz, gleich den fünfzig Jahren von 1775, der Zeit der höchsten Entwickelung der deutschen Leinenausfuhr, bis zu 1825, dem völligen Verfalle der Industrie auf den alten Grundlagen, hat noch kaum eine andere Industrie mitgemacht.
Mit dem Anfänge des zweiten Viertels unseres Jahrhunderts aber begannen Deutschland und Oesterreich im deutschen Zollverein (1831) sich zu verbünden, um die ersten Anfänge ihrer fabriksmässigen Industrie gegen das Ausland zu schützen. So war auch für die österreichische Leinen-Industrie der Zeitraum vom Ende der napoleonischen Kriege bis zum Beginne der Verfassungsära die Zeit der Vorgeschichte ihrer modernen Entwickelung. Einer kurzen Erholung nach dem Frieden folgte in den Zwanzigerjahren ein plötzlicher Preisfall der Leinenproducte fast um die Hälfte, in Folge der Concurrenz der Baumwolle, den man leider vielfach durch ein schlechteres Erzeugnis oder durch täuschende Vermischung mit Baumwolle wettmachen wollte, so dass das irische und englische Leinen dem Rufe des deutschen Leinens bald den Rang ablief. Noch 1834 hatte der Zollverein eine Mehrausfuhr von 9440 Centner, 1842 bis 1846 schon eine jährliche Mehrausfuhr an roher Leinwand von 12.330 Centner; 1842 eine Mehrausfuhr an gebleichter Leinwand von 57.499 Centner, 1860 nur mehr eine solche von 18.693 Centner. Die Löhne sanken beständig, und die armen Weber verdienten sich endlich bei einer Arbeitszeit bis zu 18 Stunden kaum 2 bis 3 Silbergroschen täglich. Erst als späterhin der Zollverein vom Jahre 1831 die sämmtlichen Baumwoll- gewebe mit einem hohen Schutzzölle belegte, konnte wieder ein Aufschwung der Leinenproduction nicht allein für den inneren Consum, sondern auch für den Export platzgreifen.
Während die Generalconferenzen des Zollvereines, 1831, 1839, 1840, 1842, der Schauplatz beständiger Vorschläge und Kämpfe mit Rücksicht auf die Fragen nach dem Zollschutz gegen den sich immer steigernden Einfluss der englischen rohen, gebleichten und gezwirnten Leinengarne wurden und das wichtige Absatzgebiet Russlands sich immer mehr dem starren Schutzzollsystem zuwandte, vollzog sich langsam der Process, durch den einerseits die Handgarnspinnerei, die sogar noch bis in die Fünfzigerjahre den Ausschlag gab, durch die mechanische Spinnerei vernichtet zu werden begann, wo aber andererseits, um das Jahr 1840, der Höhepunkt der Krise für die localen, selbständigen, kleinen Leinenweber gekommen war. Als ganz neue_Unternehmungen entstanden nun auch auf dem Continent, d. h. insbesondere in Oesterreich und dem Zollvereinsgebiete, die mechanischen Flachsspinnereien, während die grösseren Leinwandhandlungshäuser nur ganz allmählich zum Grossbetrieb übergiengen, indem sie theils als Verleger einer grossen festen Anzahl von kleineren Webern auftraten, theils aber mechanische Webereien begründeten.
Die Gross-Industrie. IV.
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