Diese Periode ist auch für Oesterreich der Anfang des Ueberganges der Leinengewerbe zur eigent­lichen Leinen-Industrie.

Ein Vierteljahrhundert, etwa von dem Ende der napoleonischen Kriege, 1815 bis 1840, kämpfte also die Leinen-Industrie in ihrer alten hausindustriellen Form und in ihren beiden Hauptzweigen, der Handgarnspinnerei und der Handweberei, noch ihren letzten Kampf um die Selbständigkeit in alter Weise. Während aber die unabhängig von ihr entstehenden mechanischen Flachsgarnspinnereien das Handgespinnst vollständig zu verdrängen beginnen, muss auch die Leinen-Handweberei, da die Möglichkeit unmittelbaren localen Absatzes durch die kleinen Meister allmählich verloren geht, sich immer mehr dem Verkauf an grosse Handelshäuser zuwenden, durch welche allein das grosse inländische und das Exportgeschäft möglich wird. Die früher selbständigen kleineren Webermeister, die sich dereinst zu förmlichen Weber­dörfern g'ruppirten, müssen theilweise ihre Selbständigkeit, theilweise auch ihren Verdienst der Möglich­keit, der Sicherheit und auch Regelmässigkeit ihres Absatzes opfern, der nur mehr durch den Grosshandel erreicht werden kann.

Ganz parallel hiemit konnte auch der Staat die Mittel zu seiner Hilfe für die Leinen-Industrie nicht mehr so sehr in localen Maassregeln und Unterstützungen kleiner Meister, sondern in einer förmlichen Inaugurirung einer Handelspolitik suchen.

So sehen wir denn in der That gleichzeitig mit dem Uebergang zur mechanischen Erzeugung und zum Grosshandel die Aera der Zollpolitik, der Zolltarife und Zollverträge anbrechen. Die Geschichte der Leinen-Industrie lässt sich wie kaum eine zweite auf die entscheidenden Einflüsse zurückführen, welche von Jahrzehnt zu Jahrzehnt die so veränderlichen zollpolitischen Maassregeln und Verhältnisse auf ihr kurzes Emporblühen und ihren wieder beginnenden Verfall geäussert haben. Wir können hier nicht alle die Wandlungen verfolgen, welche die österreichische Handels- und Zollpolitik insbesondere seit dem allgemeinen Zolltarif vom Jahre 1853 bis zum autonomen Zolltarif vom Jahre 1878 und endlich den Handelsverträgen vom Jahre 1891 durchmachte, die endlich zu einem systematisch vollendeten Schutzzollsystem geführt haben. Es sind aber zwei Hauptstützpunkte des gesunden Exportverkehres österreichischer Leinenproduction, die dann vollständig verloren giengen und deren Verlust einen grossen Theil der Schuld an dem schliess- lichen Rückgänge der Leinen-Industrie trugen. Man kann sie kurz bezeichnen: als die völlige Auf­hebung des freien Rohleinenverkehres nach Preussisch-Schlesien und die Schläge, die unseren bedeutenden Leinengarnexport nach Deutschland und Italien durch die Zollerhöhungen der letzten Verträge trafen.

Der zollfreie Rohleinenverkehr blieb bis in das Ende der Sechzigerjahre der einzige Trost, der den schweren Schlag linderte, von welchem unter allen altösterreichischen Industrien die Leinen-Industrie am empfindlichsten durch den Verlust Schlesiens getroffen wurde. Nordböhmen, Nordmähren und Oester- reichisch-Schlesien waren seit Jahrhunderten der Sitz der Leinenweberbevölkerung, die ihr Hauptabsatz­gebiet auf den schlesischen Märkten hatte und die Bedingungen ihrer Existenz darin fand.

Trautenau, dessen Bedeutung als einer der ersten Leinenwebemärkte erst seit 1833 zurückgieng (und welches in Oesterreich noch heute als Garnmarkt die erste Stelle einnimmt), Hohenelbe, Arnau als Märkte, Rumburg, ferner Freiwaldau, Freudenthal, Mährisch-Schönberg und Sternberg als Leinenproductionscentren sind die Namen, mit denen sich die alte Blüthe der österreichischen Leinen-Industrie verknüpft und die gegenwärtig nur schwer und ungenügend den verlorenen Absatz jener Zeit nach Schlesien in einem aussereuropäischen Consumgebiete, in Amerika, zu decken suchen, wo Frachtkosten und steigende, fast unüberwindliche Zölle selbst den kärgsten Lohn des Webers, wenn nicht die Verkäuflichkeit seines Erzeug­nisses überhaupt, bedrohen.

Im Handels- und Zollvertrage mit Preussen vom 9. März 1868 konnte der zollfreie Rohleinen­verkehr noch gerettet werden. Acht Jahre später aber erfolgte die Kündigung des Handelsvertrages, und nach Jahresfrist wurden jene langwierigen Verhandlungen abgebrochen, in welchen man nicht einmal mehr gegen die Gewährung des Appreturverkehres die Freiheit des Rohleinenverkehres zugestehen wollte. Obgleich in den preussischen Zolltarifen und in besonderen Uebereinkommen die Bestimmung enthalten war und seit mehr als einem Jahrhundert gepflogen wurde, dass »rohe ungebleichte Leinwand aus Oester­reich nach Preussen auf der Grenzlinie von Leobschütz bis Seidenberg in der Oberlausitz nach Bleichereien oder Leinwandmärkten, dann in Sachsen auf der Grenzlinie von Ostritz bis Schandau auf Erlaubnisschein frei eingehen dürfe«, bestritt man deren Rechtmässigkeit unter dem Vorgeben, dass dieselbe keine ver-

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