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Die Groß-Industrie Oesterreichs : Festgabe zum glorreichen fünfzigjährigen Regierungs-Jubiläum seiner Majestät des Kaisers Franz Josef I. dargebracht von den Industriellen Österreichs 1898 ; Vierter Band
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tragsmässige sei und dass sie erst der Genehmigung des deutschen Reichstages unterbreitet werden müsste. -

In einem'Compromiss wurde noch auf ein Jahr die Todesfrist der Zollfreiheit des Rohleinens ver­längert und auch diese nur mit der Beschränkung auf die zwei Märkte Neurode und Landshut und den directen Bezug von deutschen Bleichereien auf den oberwähnten Grenzlinien, dann vollendete der deutsche Zolltarif vom 15. Juli 1879 und der Handelsvertrag mit Deutschland vom 23. Mai 1881 diesen schwersten Schlag der österreichischen Leinen-Industrie und jener armen Gebirgsgegenden, die trotz der Ungunst der rauhen Witterung und der Bodenverhältnisse der Sitz einer vaterländischen Export-Industrie ersten Ranges sind und so manche fruchtbare Ebene an Gewerbefleiss und auch Dichtigkeit der Bevölkerung übertreffen.

Wohl wurde österreichischerseits auch der Appreturverkehr aufgehoben; da dies aber hauptsächlich der grössten Concurrentin, der Baumwoll-Industrie, zu Gute kam, so war damit eher noch der harte Schlag der Aufhebung des freien Rohleinenverkehres für die Leinen-Industrie gewissermaassen verschärft.

Auch ziffermässig kam die Wirkung sofort zum Ausdrucke, da auch die neuen Staffelzölle auf Leinengarne und Leinengewebe namentlich für die minder feinen Nummern, die hauptsächlich auf Deutschland angewiesen sind, ihren ungünstigen Einfluss übten: An Leinengarnen wurden 1878 noch 76.565 Metercentner, 1880 nach dem neuen deutschen Zollgesetze vom Jahre 1879 nur mehr 55.152 Meter- centner an Leinenwaaren, 1878 noch 13.636 Metercentner, 1880 nur mehr 6396 Metercentner nach Deutschland exportirt. 1 )

Im Zoll- und Handelsverträge vom 23. Decetnber 1878 mit Italien war die Leinen-Industrie noch so glücklich, ihre Einfuhrzölle dahin wenigstens nicht erhöht zu sehen. Lasteten doch ohnehin noch die Folgen der Verluste der Lombardei und Venedigs auf derselben, die gleichbedeutend mit dem Verluste des zollfreien Marktes dieser wichtigen Absatzgebiete der Leinen-Industrie Oesterreichs waren.

Die Reform des autonomen österreichisch-ungarischen Zolltarifes vom Jahre 1882 und die Zoll­novelle vom Jahre 1887 beschäftigten sich wenig mit den Leinenzöllen, welche sie auf der alten Grundlage beliessen. Auch hatte die Leinen-Industrie als Export-Industrie geringeres Interesse an Reformen der Schutzzölle auf fremde Provenienzen.

Aber schon bei den nächsten Verhandlungen, bei denen es sich um eine Sicherung des Leinen­exportes nach fremden Absatzgebieten handelte, sehen wir neuerdings die Leinen-Industrie in eine noch ungünstigere Position gedrängt, die heute bis zum Jahre 1903 zollpolitisch fixirt ist durch die Handels­verträge vom 6. December 1891 mit Deutschland, Italien, der Schweiz und Belgien. Leinengarn, der bedeutendste Artikel der Fabricate, welche in grösserer Menge nach Deutschland exportirt werden, wurde mit den Zöllen des deutschen autonomen Tarifes gebunden, im Vertrage mit Italien indessen, wurde eine ganz bedeutende Erhöhung der Leinengarnzölle (von 52-1 bis 9i'3 Procent) zugestanden, obgleich auch unter den von Oesterreich nach Italien exportirten Fabricaten die Leinengarne obenan standen. Die Folge des Vertrages von 1887 war es schon gewesen, dass die österreichische Leinengarn­einfuhr nach Italien durch den Rückgang um ein Drittel die Kosten der gleichzeitigen Erhöhung der Einfuhr der deutschen Spinnereien trug. Der Import Oesterreich-Ungarns nach Italien war wir folgen Hofrath Dr. Bazant a. a. O. von 250 Millionen Lire im Jahre 1887 auf 138 Millionen Lire im Jahre 1888 gesunken, der Import Deutschlands von 95 Millionen Lire im Jahre 1882 auf 144 Millionen Lire im Jahre 1888 gestiegen.

Auch die Schweiz ist durch die ausserordentlichen Zollerhöhungen auf Leinengewebe und Leinen­kleider, die sich zwischen 56-3 und 52 Procent bewegen, ein schwer zu erhaltendes Absatzgebiet für Leinenwaaren österreichischer Fabrication geblieben, während Belgien, das einige Wichtigkeit für den Garnexport besitzt, innerhalb der Handelsverträge wenigstens auf derselben Stufe stehen blieb.

Neben diesen zollpolitischen Actionen der Handelsvertragsstaaten sind in Europa noch die für den Leinenexport so wichtigen Balkanstaaten hervorzuheben, von denen auch Bulgarien erst jüngst zu einer Zollerhöhung bis zu 14 Werthprocenten geschritten ist.

Die allerbedeutendsten Zollkrisen hat aber die Leinen-Industrie ausserhalb Europas durch die Wandlungen der Zölle der Vereinigten Staaten von Nordamerika durchgemacht. Während des amerikanischen Bürgerkrieges der Jahre 1861 bis 1865 hatte die Leinen-Industrie eine kurze Zeit aufgeathmet

) Vgl. v. Bazant, »Handelspolitik Oesterreich-Ungarns«.

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