b) Das mährisch-schlesische Leinen-Industriegebiet.

Die Entwickelung der mährischen und schlesischen Leinen-Industrie war ganz analog jener der nordböhmischen. Auch dort giengen aus einer Reihe von alten bedeutenden Leinwand-Kaufhäusern die neuen modernen fabriksmässigen Anlagen, mechanische Spinnereien, Webereien und neue Kunstbleichen hervor. Die Urkunden über die mährisch-schlesische Leinen-Industrie reichen bis auf eine sehr frühe Zeit zurück. Dieselbe steht im engsten Zusammenhänge mit dem uralten, in den Sudetenländern heimischen Flachsbaue; wie überall wurde das Rohproduct ursprünglich zum Hausbedarfe versponnen und verwoben, der Ueberschuss in den benachbarten Dörfern und Städten abgesetzt und auch das überschüssige Garn leicht nach dem Auslande verkauft, wenn auch mit sehr geringem Gewinn.

Die Geschichte der Leinengewerbe aber knüpft sich schon seit der ältesten Zeit an einige Haupt­stätten des Gewerbefleisses, unter denen die Namen Mährisch-Schönberg, Sternberg, Mährisch-Neustadt, Freiwaldau, Freudenthal, Zuckmantel, Römerstadt, Würbenthal noch heute die bedeutendsten sind.

Schon in sehr früher Zeit ragte unter Anderem der Ort Mährisch-Neustadt durch seine Leinwand­bleichanlagen hervor, und die Chronik weiss zu berichten, dass diese Stadt vom Markgrafen Jodok zu Ende des 14. Jahrhunderts schon ein Privilegium erhielt, womit derselben das Recht zugestanden wurde, alle Leinwänden, die drei Meilen im Umkreise erzeugt wurden, allein bleichen zu dürfen. Zu jener Zeit war Mährisch-Neustadt der Hauptort der mährischen Leinen-Industrie.

Aber auch in Mährisch-Schönberg wurden seit Alters her auch Leinwände und Leinenwaaren, wie Tüchl-, Mesolan-, Tripp- und Zwillichwaare erzeugt. Eine noch erhaltene Chronik von Schönberg aus dem Jahre 1647 sagt: »Der Stadt beste Nahrung ist allerhand Handwerksleute, worunter die Tuchmacher, und Leinweberzeche die grösste ist.« Die alten Zunftbücher der Leinenweber Mährisch-Schönbergs und Freudenthals führen uns sogar in das Jahr 1596 zurück, indem uns ein Namensverzeichnis der Altknechte und Gesellen mit dem damaligen Bestehen einer ehrsamen Leinenweberzunft bekannt macht.

Im Jahre 1773, in dem Jahre wo die Leinenweberei als Zweig des allgemeinen Nahrungsverdienstes zum freien Gewerbe erklärt wurde, werden uns 250 selbständige Meister genannt; die Grösse der Production scheint damals nicht unbedeutend gewesen zu sein, denn im Jahre 1777 wird uns von der ehrsamen »Tripp-, Mesolan-, Leinen- und Kunstweberzunft« bis Ende December noch ein Gesammterzeugnis »von 662 Stück Leinwand und Tüchl und 6300 Stück Tripp« berichtet. Und doch konnte die Weberzunft einer grösseren ärarischen Bestellung, die im darauffolgenden Jahre an sie gelangte, nicht gerecht werden. Charakteristisch für die damalige Lage des Gewerbes ist nebenbei die Meldung, dass am 15. Juli 1778 auf Anrathen eines gewissen Josef Praschke in der Zunft von der verdienstlosen Tripperzeugung zur Zwillicherzeugung über­gegangen und mit dem k. k. Hoflieferanten Paul Urbatschek ein Contract auf 50 Schock Zwillich pro Monat abgeschlossen wurde. Am 22. Juni 1794 gieng man einen Schritt weiter, indem die Zunft mit den Wiener Grosshändlern Ivlapperoth und Heuerdegen ein Uebereinkommen traf, in welchem sie sich zur Erzeugung von »Manchester, Duchester und Wilchester« für dieselben bereit erklärt. Es scheint auch diese Erzeugung eine Zeit lang den Hauptverdienst abgegeben zu haben, bis sich der Absatz im Anfänge dieses Jahrhunderts mehr erweiterte, als sich in den französischen Revolutionskriegen ein erhöhter Bedarf ein­stellte, der den Unternehmungsgeist weckte. Diesem Aufschwünge verdanken unsere ältesten Leinwand- und Damastfabriken Mährens und Schlesiens zum grossen Theile ihren Ursprung. Neben Freudenthal begann damals Mährisch-Schönberg sich zum Hauptorte der mährischen Leinen-Industrie aufzu­schwingen, unterstützt durch die in der Nähe gegründeten Leinwand- und Garnbleichen und Appretur­anstalten und begünstigt durch die steigende Nachfrage nach Leinwand. Später wurden diese Betriebe vergrössert und mit den zeitgemässen Einrichtungen versehen. Dazu traten dann noch die Gründungen der mechanischen Flachsspinnereien in und um Schönberg und der successive Uebergang zur mechanischen Weberei in den Siebzigerjahren. Bis heute haben Unternehmungsgeist und geschäftliche Routine den guten Ruf der Schönberger Erzeugnisse vergrössert und den Ort selbst als Mittelpunkt der mährischen Leinen- Industrie erhalten.

Was die Zeit der Entwickelung zu Anfang des Jahrhunderts betrifft, so fand die Leinwand ihr Hauptabsatzgebiet in Triest und Italien, während sonst schon damals die belgische und englische Concurrenz dem Exportgeschäfte grossen Eintrag that. Ein umso schwerer wiegendes Unglück war daher der Verlust Triests 1809, welcher diese Verbindung bald in Vergessenheit gerathen Hess.

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