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Haus-Industrie lebt die Leinenweberei, wenn auch allmählich abnehmend, in den Alpenländern, namentlich in Oberösterreich, noch weiter. Im letzteren Kronlande bildet die Lambacher Flachsspinnerei den grössten Repräsentanten der Leinen-Gross-Industrie ausserhalb der drei nördlichen Länder, welcher auch der be­deutendste der näherliegenden Consumenten für die flachsbauende Landwirthschaft der Alpenländer ist, wenn man nicht auch die grosse mechanische Hanfspinnerei, Bindfaden- und Seilfabrik Lieser & Duschnitz in Pöchlarn in Niederösterreich, die eigentlich schon einem anderen Industriegebiete angehört, hinzurechnen will. In so manchen Gegenden, die noch nicht im vollsten Maasse in das Getriebe des neuen Verkehrs­lebens hineingezogen sind, gibt es noch Orte, wo nach der Väter und Mütter alter Weise der selbst gebaute Flachs im Hause gesponnen und von den Dorfwebern gewirkt oder gewebt wird und der Landwirth seine selbst gesponnene, selbst gemachte Kleidung trägt; keinen Ort vielleicht ward es aber geben, wo nicht schon Baumwollwebe als Concurrent des Leinens im Bauernhause und das Baumwollgarn beim Dorfwirker als Concurrent des Flachsgarns auf seinem Handstuhle aufgetreten ist. So ist die neue Zeit auch in dem Kleidungsstoff bis ins letzte Dorf vorgedrungen. Die Baumwolle und Jute, welche unmittelbar als Stoffe der Gross-Industrie auftraten, haben auch das ehemals bescheidene landwirthschaftliche Product in den Weltkampf einzutreten gezwungen. Nur soweit der Flachs ein Rohstoff für unsere Gross-Industrie wurde, konnte er sich auch für die Zukunft als mächtiger Factor erhalten.

Und in der That belehrt uns auch ein flüchtiger Blick über das grosse Emporblühen, dessen sich diese Industrie seit dem Jahre 1848 zu erfreuen hatte. Aus einer grossen Zahl von kleinen Leinen-, Ge­weben-, Garn- und Flachshändlern, Handspinnern, Handwebern, die, wie uns ja die Geschichte lehrt, der Mehrzahl nach unter dürftigen Verhältnissen lebten, machtlos und oft verständnislos allen politischen und wirthschaftlichen Krisen preisgegeben, w'ar eine mächtig grosse Industrie erstanden, die ihre Waaren fast zur Hälfte ihrer Production in alle Theile der civilisirten Welt schickt und das Mittelglied wird, um den fremden Käufer die Arbeit des armen W T ebers zahlen zu machen, die er ehemals zu Zeiten oft um den halben Preis nicht verwerthen konnte. Was früher die Einsetzung von Mercantilcollegien und Gründung von Handelscompagnien nur unvollkommen erreichen konnten, hat sich unter dem glorreichen Scepter Sr. Majestät unseres jetzigen Monarchen verwirklicht.

Allerdings ist für den einen, grössten Zweig der Leinen-Industrie, für die Spinnerei, in den letzten 25 Jahren eine Periode des theilweisen Rückganges eingetreten. Von 1848 bis 1873 wuchs dieselbe auf 69 Flachsspinnereifirmen mit 414.794 Spindeln an, um in der folgenden Periode bis zur Gegenwart auf den Bestand von 33 Firmen mit 297.928 Flachsspindeln herabzugehen. Diese Zahlen entsprechen einem Herabsinken des Flachsconsums von 500.000 Metercentner Flachs und 50.000 Metercentner Flachswerg auf etwa 360.000 Metercentner, beziehungsweise 36.000 Metercentner. Böhmen zählte absolut (61.000 Spindeln), Schlesien relativ (über die Hälfte seiner Spindeln: 27.334 Spindeln) die meisten der aufgelassenen Spindeln, während Kärnten, Vorarlberg und Galizien gegenwärtig überhaupt keine Flachsgarnspinnereien mehr besitzen.

Wenn wir es versuchen wollten, eine erschöpfende Aufzählung aller bestehenden Leinenw r ebereien und Leinenbleichereien zu geben, so würden wir schon deshalb auf grosse Schwierigkeiten stossen, weil der grösste Theil der Webereien gleichzeitig Baumwollgarne verarbeitet, andererseits aber die Zahl der Handweber, die nur nach dem Vorhandensein der Nachfrage arbeiten, nicht genau festzustellen ist. An kaufmännischen Firmen können wir nach einem ziemlich verlässlichen \ r erzeichnisse in Böhmen 82, in Mähren und Schlesien 77, in Nieder-und Oberösterreich (grossentheils in Haslach) 21 Leinenweberfirmen, und im Ganzen circa 100 Bleichereien zählen.

Was aber die Flachsspinnereien betrifft, so ist es uns möglich, ein nahezu erschöpfendes Bild von dem Stande der Entwickelung der einzelnen Flachsspinnereien aller Ivronländer am Schlüsse der ersten 25 Jahre der Regierung Sr. Majestät, im Jahre 1873, bis zu welchem sich dieser Leinen-Industriezweig eines so bedeutenden Aufschwunges erfreute, und vom Stande der Anzahl der Unternehmungen und laufenden Flachsspindeln im gegenwärtigen Augenblicke zu geben.

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