Die Stickerei-Industrie Vorarlbergs war vom Anfang an Haus-Industrie und hat da kaum eine nennenswerthe Wandlung durchgemacht. Es gibt wohl — sehr vereinzelt — Fabriksbetriebe; dass aber die Neigung, solche zu gründen, in der Plattstichstickerei nicht gross sein kann, ist sehr begreiflich. Die Form der Haus-Industrie ermöglicht es, den wechselnden Conjuncturen des Marktes rasch zu folgen, während der Unternehmer beim Fabriksbetriebe bei sinkender Aufnahmsfähigkeit des Marktes ein grosses Capital in seinen Maschinen festgelegt hat und dazu der Aufrechterhaltung des Betriebes nicht selten namhafte Opfer bringen muss. Der Normalarbeitstag verhindert des Ferneren die Einbürgerung des Fabriksbetriebes, welcher durch die leider ungemessene Arbeitszeit in der Haus-Industrie mit Erfolg concurrencirt wird, und endlich wurde die hausindustrielle Form des Betriebes dadurch begünstigt, dass das hausindustrielle Fabrikat, das auf derselben Maschine erzeugt wird, welche im fabriksmässigen Betriebe Verwendung findet, nicht minder- werthiger ist, als das in diesem hergestellte. Man findet in Vorarlberg verschiedene Typen des hausindustriellen Betriebes. Ausnahmslose Uebung ist nur, dass der Sticker den Stoff und das Garn von dem Unternehmer erhält. Die Maschine ist meistens Eigenthum des Stickers, manchmal des Arbeitgebers (fabriksmässige Haus-Industrie). In den allermeisten Fällen ist der Sticker nicht eingemiethet, sondern besitzt selbst ein kleines Anwesen mit einer Oekonomie, die freilich oft nur nebenher betrieben wird und lediglich für die Bedürfnisse des Haushaltes zu sorgen hat. Die Maschine ist fast nie im Wohnraume selbst aufgestellt, weil sie viel Platz erfordert, sondern in der Regel in einem eigenen Zimmer oder in einem kleinen Anbau zum Wohnhaus. Beschäftigt wird auf ihr die ganze Familie; der Mann stickt, die Frau oder Tochter fädeln, beziehungsweise bedienen die Fädelmaschine und sticken die Waare auch meistens nach. Solcher Stickerfamilien gibt es in Vorarlberg eine Unzahl. Die Zahl der Personen, welche in der Stickerei-Industrie ihren Erwerb finden, dürfte heute mit 12.000—14.000 nicht zu hoch gegriffen sein. Bedenkt man, dass ganz Vorarlberg nach der letzten Volkszählung circa 117.000 Einwohner zählte, so kann man sich einen Begriff von der Bedeutung der Stickerei machen, die circa 10—12 Procent der Bevölkerung des Landes ernährt. Was die Lohnverhältnisse betrifft, so zeigen dieselben grosse Fluctuationen. In Krisenzeiten sind sie bis auf 21 und 22 Centimes für 100 Stiche, Vt-Rapport, gesunken, sie haben aber auch zu guten Zeiten die Höhe von 50 und mehr Centimes erreicht. Folgende Aufstellung, 1 ) die sich auf ein günstiges und auf ein sehr schlechtes Jahr bezieht, gibt ein Bild über die Lohnverhältnisse.
1882. Lohn ('A-Maschine) 40—45 Rp., tägliche Arbeitsleistung 2500 Stiche,
daher tägliche Einnahmen.Frcs. 10—11-25
gegenübergestellt den täglichen Ausgaben, und zwar:
Fädlerin.
Garn.
Nachsticken.
Localmiethe.
Heizung und Beleuchtung.
Seife, Oel, Wachs, Nadeln.
Reparatur und Abnützung.
zusammen
Frcs.
2 ._
»
1.20
»
—.40
*
—.30
»
—,15
»
—•15
»
—.25
Frcs.
4-45
ergibt einen Nettoverdienst von Frcs. 5.55—6.80.
1891. Lohn ( 4 /j-Maschine) 33 Rp., tägliche Arbeitsleistung 1800 Stiche, daher tägliche Einnahmen.Frcs. 5.94
l egenübergestellt den täglichen Ausgaben
4.45 (wie oben)
ergibt einen täglichen Nettoverdienst von Frcs. 1.49 Der durchschnittliche Jahresverdienst aus einem annähernd normalen Jahre (1890) ist, getrennt nach der Qualification des Stickers, aus folgender Tabelle zu entnehmen.
Brutto
Netto
1. eines sehr guten Stickers
1968'-
839'—
2. eines guten » . . .
. . 1785-8
750-6
3. eines mittelmässigen » . . .
I 4 II--
609-8
Das auffallende Missverhältnis zwischen Brutto- und Nettoverdienst ist auf verschiedene Gründe zurückzuführen, wie grobe Muster mit hohem Lohn, die viel Garn und Fädlerei erfordern, ungleich viel
‘) Aus einem Berichte des Verfassers an die Handels- und Gewerbekammer für Vorarlberg (1891).
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