Erfindungen gerade dann einzusetzen pflegen, wenn die Zeit dafür so recht eigentlich reif geworden. Jetzt, wo ungezählte Pionniere der Arbeit, denen die manuelle Durchführung all jener Schöpfungen oblag, jeglicher Unbill der Witterung preisgegeben waren, ganz anders als ehedem, wo fast nur das schützende Dach den emsigen Fleiss des Handwerkes sah, jetzt, wo es galt, den Elementen die Werke des Genius abzutrotzen, jetzt war auch der Zeitpunkt gekommen, in dem die gebieterische Nothwendigkeit es heischte, Leben und Gesundheit des Arbeiters zu schirmen gegen die feindlichen Naturgewalten. Wie durch Zauber­macht herbeigewinkt, entstanden in rascher Folge die ingeniösen Erfindungen des mechanischen Wirk­stuhles (1860 in St. Just-en-Chaussee), des Kettenstuhles, der Rundwirkmaschine, der Lambschen Strick­maschine und des Cotonstuhles.

Durch die grosse Productivität, gleichbedeutend mit Verbilligung der Herstellung, welche diese maschinellen Hilfsmittel darboten, war überhaupt erst eine rationelle und wohlfeile Unterbekleidung der arbeitenden Massen, für welche sie ja zumeist die pièce de résistance ihrer Bekleidung zu bilden pflegt, und damit ein ausgiebiger Schutz der Gesundheit einer so grossen Bevölkerungsschichte ermöglicht.

Nun verbreitete sich diese Industrie in rascher Folge in der ganzen Monarchie. Es entstanden noch Fabriken und Werkstätten in Südböhmen, Mähren, Vorarlberg. Die Strickmaschine wurde fast so populär wie die Nähmaschine und ist allerwärts anzutreffen.

In volkswirthschaftlicher Beziehung ist die Wirkwaarenfabrication von ganz besonderer Bedeutung; dieser Industriezweig dürfte verhältnismässig mehr Hände beschäftigen als irgend ein anderer der Textil­industrie. Während der Spinner auf seinen Spindeln, der Weber auf seinen Stühlen ein meist sofort markt­fähiges Product erzeugen, liefern die Wirkstühle Stoffe, welche keine Handelsartikel darstellen und erst eine lange Reihe von Proceduren durchzumachen haben, ehe sie durch Confectionirung vollendet sind. Es mangelt an zuverlässiger Statistik über die Wirk-Industrie, wir glauben aber folgende Daten als an­nähernd richtig feststellen zu können.

In der österreichischen Monarchie dürften 14.000 Arbeiter, und zwar 5000 männliche, 9000 weib­liche, in der Wirk-Industrie Beschäftigung finden. Hiezu kommt noch die Heimarbeit, die wohl 5000 bis 6000 weibliche Arbeiter beschäftigen mag.

Die Strickwaaren-Industrie, die zum grössten Theile Haus-Industrie ist, dürfte ausserdem an 8000 Arbeiter beschäftigen.

Der zur Verfügung stehende beschränkte Raum gestattet es nicht, den Artikel Wirkwaare und seine Production so gründlich zu besprechen, wie er es durch seine Mannigfaltigkeit erheischt; wir müssen uns darauf beschränken, den Entwickelungsgang der Industrie zu schildern, indem wir die massgebenden Firmen der Gross-Industrie der AVirkwaarenbranche anführen und ihre Betriebe in Kürze besprechen. Auf Vollständigkeit kann diese Besprechung daher keinen Anspruch machen.

Die Wirkwaaren-Industrie zerfällt in folgende Hauptgruppen :

I. Wirkerei: a) Geschnittene und genähte Rundstuhlwaare; b ) geminderte, façonnirte Strumpf- und Unterwaare; c) Phantasiewaaren, auf Kettenstuhl und Raschei hergestellt.

II. Strickerei: a) Nahtlose Strümpfe und Unterzeuge; b) Fez; c) Phantasieartikel, Handschuhe.

Zu den wichtigeren Gruppen dürfte die Rundstuhlwaare zählen. Dieser Zweig der Tricotage-Industrie

nahm einen bedeutenden Aufschwung durch die Einführung der sogenannten Jäger-Normalwäsche. Die Anregung zu dieser äusserst zweckmässigen Form gewirkter Unterkleidung war von dem durch vielfache Bethätigung auf dem Gebiete der Hygiene bekannten Prof. Dr. Jäger in Stuttgart gegeben worden.

Die Firma AVilhelm Benger Söhne daselbst, mit welcher sich der eben Genannte in Verbindung setzte, erzeugte zuerst unter dessen Anleitung den heute in der ganzen Welt verbreiteten Normalwäsche­artikel, dessen Verbrauch einen nie geahnten und sich fort steigernden Umfang angenommen hat. Aller­dings trug zu solchen Erfolgen auch die zielbewusste, belehrende Réclamé der Firma Benger das Ihrige bei, deren Inhaber, die Commerzienräthe Wilhelm und Gottlieb Benger, im Jahre 1885 in Bregenz unter der Firma Wilhelm Benger Söhne eine Zweigniederlassung gründeten, welche von dem Procuristen Carl Benger geleitet wird.

Bis dahin war die Tricotbekleidung in grösserem Umfange nur bei der k. und k. Marine und der Heeresverwaltung mit Erfolg in Verwendung, denn an beiden hohen Stellen hatte man frühzeitig die vor­trefflichen, gegen jähen Temperaturwechsel, gegen Wind und AA r etter am wirksamsten schützenden Eigen­schaften des gewirkten Stoffes gewürdigt.

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