K. u. K. HOF- UND KAMMER-POSAMENTERIE WA AREN-FABRIK

FRANZ THILLS NEFFE

WIEN.

ie Gründung der Firma »Franz Thills Neffe« erfolgte 1761 in Wien, kaum vierundzwanzig Jahre nach dem Tode des Prinzen Eugen von Savoyen und mitten in den folgenschweren Ereignissen des siebenjährigen Krieges.

Diese Anknüpfung an geschichtliche und militärische Daten kann wohl keineswegs befremdlich erscheinen bei einer Industrie, deren Entstehung und Aufschwung ja überhaupt mit der Entwickelung der Heeresausrüstung und namentlich mit dem Aufkommen stehender Heere aufs engste verknüpft ist. Insbesondere gilt dies bei einer Firma, welche, wie das Haus Franz Thills Neffe, sich rühmen darf, dass sie nahezu anderthalb Jahrhunderte hindurch unter sechs Monarchen aus dem Hause Habsburg-Lothringen den kaiserlichen Officieren aller Rangstufen und Waffengattungen, wie der Armee die Feldbinden, Ehrenzeichen und Distinctionen, namentlich aber seinerzeit der k. und k. Cavallerie den glanzvollen Gold- und Silberschmuck ihrer Uniformen geliefert hat. Von der Theresianischen Zeit bis zur Einführung der allgemeinen Wehrpflicht und bis auf den heutigen Tag hatte die Firma Thill die ganze neuere Uniformirungsgeschichte der österreichischen Armee miterlebt, nachdem sie schon von ihrer Begründung an die Fabrication von Militär-Posamenten mit Vorliebe zu ihrer Specialität erwählt hatte. Ausserdem erzeugte die Firma damals verschiedene, namentlich orientalische Exportartikel, und finden sich noch in alten Musterbüchern des Hauses Thill aus dem 18. Jahrhundert schöne ungarische Goldspitzen und Points dEspagne. Die Fabrication dieser letzteren wurde übrigens in neuester Zeit (1888) von der Firma erfolgreich wieder aufgenommen, da der ausserordentliche Wettbewerb von heute eine stets zielbewusste, unausgesetzte Aus­dehnung der Fabrication auf neue Artikel und neue Absatzgebiete und Consumbedürfnisse nöthig macht.

Mit den sonstigen Zweigen der Posamenterie befasste sich die Firma seit jeher so ziemlich nur in zweiter Linie, obwohl dieselben schon um die Mitte des vorigen Jahrhunderts in Wien vertreten waren. Da gab es, um 1760, in Wien bereits: Ungarische Schnürmacher, Knopf- und Crepine-Erzeuger, Gold- und Silber-Drahtzieher, Perl­hefter, Gold- und Silber-Sticker, -Plättner und -Spinner und noch etwa ein halbes Dutzend anderer hieher gehöriger Gewerbekategorien. Schon dazumal galt die Posamenterie als eines der ältesten Wiener Gewerbe, und thatsächlich ist nachgewiesen, dass es schon im 14. Jahrhundert viele Handwerker dieses Zeichens in Wien gab, welche sich, wie urkundlich feststeht, 1317 zu einer gemeinsamen Zunft, der »St. Lucas-Bruderschaft«, vereinigten. Weitere Belege für das hohe Alter dieser Industrie sind die Handwerks-Ordnungen der Wiener Posamenterie- Arbeiter, welche schon um 1599 von Oswald Hünndorffer, dazumal Bürgermeister und Stadtrath von Wien, sowie etwa hundert Jahre später von dessen berühmtem Nachfolger Joh. Andr. v. Liebenberg erlassen worden sind.

Im Allgemeinen war die wirthschaftliche Lage dieses Gewerbszweiges auch in jener sogenannten guten alten Zeit keine allzu günstige. Fortgesetzt erhoben sich Klagen gegen die überhandnehmende unbefugte Concurrenz, trotzdem dieselbe durch mehrfache kaiserliche Patente bereits unter Ferdinand II., und später von Ferdinand III., Leopold I., Josef I. und zuletzt noch von Karl VI. mit empfindlichen Geld- und Freiheitsstrafen bedroht wurde. Die unbefugte Erzeugung der Militär- und Livree-Posamenten wurde ja sogar von Kammerlakaien und von .Soldaten so schwunghaft betrieben, dass Kaiser Karl VI. ein strenges Verbot erlassen musste, in welchem es speciell den Hof­bediensteten, Arsenalwächtern und Stadt-Guardia-Soldaten nachdrücklichst untersagt wurde, Gesellen, Lehrjungen oder Arbeitsmädchen auf Uniform-Posamenten zu halten (!), »da sonst die bürgerlichen Schnürmacher in Ruin und ins Ver­derben gerathen«. So geschehen 1717!

Zur näheren Erklärung dieser jedenfalls höchst auffallenden Erscheinung muss heute daran erinnert werden, dass unsere Monarchie zu Beginn des 18. Jahrhunderts gleich den übrigen Staaten Europas eigentlich noch keine reguläre Armee in modernem Sinne besass. Wie in Preussen und im ganzen Deutschen Reiche, in Frankreich und in England stand auch in Oesterreich damals das Werbesystem noch in voller Blüthe. Sold und Ausrüstung erhielt die von überall her zusammengetrommelte Mannschaft nicht aus den landesfürstlichen oder den Staatscassen, sondern unmittelbar von dem Obersten, der das Regiment angeworben. Dass hierunter manchmal ebenso die Disciplin, wie das Ansehen der Truppe leiden musste, ist einleuchtend. Namentlich der jämmerliche Zustand der Uniformstücke war, abgesehen von einigen Elitecorps, beklagenswerth. Die Flickschneiderei und Pfuscherei stand bei den meisten Regimentern in Permanenz, im Vordergründe des militärischen Dienstes. Ueberall gab es bei den Truppen viele zugelaufene, ver-

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