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Die Groß-Industrie Oesterreichs : Festgabe zum glorreichen fünfzigjährigen Regierungs-Jubiläum seiner Majestät des Kaisers Franz Josef I. dargebracht von den Industriellen Österreichs 1898 ; Erster Band
Entstehung
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Aber alle diese hochbedeutsamen Anfänge erlagen den beiden Todfeinden Oesterreichs:

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der Finanznoth und den Continentalkriegen. Wiederum starb und verdarb die ausgestreute Saat, und die Nachkommen wissen kaum mehr etwas von den hochfliegenden und keineswegs phantastischen Plänen der Vorfahren. Zuerst war es der im Bunde mit Russland unternommene unglückliche Türkenkrieg (17871792), welcher den Kaiser lähmte. Dann aber kam die fran­zösische Revolution mit ihrem Gefolge von Kriegen, welche 23 Jahre andauerten. Während dieser Zeit riss England den Welthandel, sowie die Seeherrschaft mit aller Ueberlegenheit im Colonialbesitz an sich. Hinter dem blutigen Schleier von Blockaden, Seekämpfen und Conti­nentalkriegen rüstete es seine Industrie mit den gerade damals neuerfundenen Maschinen aus, welche ihm, als endlich im Jahre 1815 der Friede anbrach, eine ungeheure Ueberlegenheit in wirthschaftlichen Dingen über die ermatteten und erschöpften Länder des Festlandes gewährten. Den letzteren fehlten nicht nur die Maschinen, überhaupt die Capitalien, und nicht nur die geschulten Kaufleute, die landwirthschaftlichen und gewerblichen Unternehmer und Arbeiter, sondern es gebrach auch der Politik an Erfahrung und Sachkunde in Bezug auf Volkswirth- schaft und Handelspolitik, woraus denn schwach befestigte Finanzen hervorgiengen.

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Ein grösserer Zug kam in diese Verhältnisse erst nach dem Scheitern der politischen Bewegungen von 1848.

Das war denn auch die Geburtsstunde der österreichischen Gross-Industrie. Und so fällt deren Entstehung zusammen mit der Thronbesteigung Sr. Majestät des Kaisers.

Erschöpft durch die auswärtigen und inneren Kämpfe der Jahre 1848 und 1849 und müde der Politik mit ihren Leidenschaften und ihren oft unter sich unvereinbarlichen Ansprüchen, suchte und fand die Bevölkerung der Monarchie Erholung, neuen Muth und zugleich ein eini­gendes Band in der Pflege der wirthschaftlichen Interessen. Durch den Fall der Zwischenzoll­linie gegen Ungarn ward ein einheitliches Verkehrsgebiet von Bodenbach und Salzburg bis Czernowitz und Semlin hergestellt. Der lange zurückgedrängte Bedarf rief eine lebhafte Nach­frage hervor, und die Nachfrage ermunterte zur Schaffung neuer Productionsstätten. Unter dem Scepter Sr. Majestät fasste das Gefühl der Sicherheit Boden. Ausgezeichnete Staatsmänner, wie Schwarzenberg, Stadion und Bruck, begriffen und begünstigten die neue Conjunctur; es war Einheit und ein Zug von Grösse in der Gesetzgebung und Verwaltung der damaligen Periode. Die erste Frucht waren Besserung des Credits und der Finanzen. Alles das aber braucht nicht nur der Staat, sondern auch die Gross-Industrie zu ihrem Gedeihen. Im Vordergründe stand der Eisenbahnbau, und das geflügelte Rad ward zum Wahrzeichen der neuen Epoche.

In der ganzen vorausgegangenen Zeit lag ein grosses Hindernis eines allgemeineren und dauernden Aufschwunges von Industrie und Landwirthschaft in dem völlig ungenügenden Zu- Stande der Verkehrsmittel.

er Handel und alle Production beruhen auf leichter Zusammenführung der Waaren und Personen. Lange Jahrhunderte hindurch aber war bei uns die Trennung und Isolirung Meister. Oesterreich ist ein Binnenland. Seine Seeküste liegt weitab von den Mittelpunkten der Production. Die Donau durchströmt zwar die Mitte des Reiches, ist jedoch, bevor sie Ungarn betritt, im Wesentlichen ein Gebirgsfluss; sie war für das Reich von

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