Arbeiter bedarf, um dem erhöhten Anlagecapital entsprechende Leistungen zu erzielen. Gilt Aehnliches nicht auch angesichts der rasch sich folgenden Aenderungen des Verfahrens oder Arbeitsmethoden der chemischen Industrie?
Mit zwingender Folge ergibt sich aber hieraus, dass die Industrie ihr eigenstes Interesse gewahrt sieht durch die thunlichste Förderung des Unterrichtswesens im weitesten Sinne des Wortes. Die Industrie bedarf eben zu ihrer wünschenswerthen Entwicklung - einer denkenden und strebsamen Arbeiterschaft. Von der durch erhöhte Verwendbarkeit des Arbeiters gesteigerten Production abgesehen, verstehen Arbeiter, welche eine höhere Bildungsstufe erklommen haben, die Bedingungen wirthschaftlichen Gedeihens besser und beurtheilen das Arbeits- verhältniss richtiger.
Nur der Industrie und der durch sie bewirkten Befruchtung der anderen Erwerbsquellen danken wir die so erhöhte Steuerkraft und die Möglichkeit der im Interesse der Entwicklung und der Machtstellung unseres Vaterlandes gelegenen unvermeidlichen Aufwendungen. 1 )
Die natürliche Wechselwirkung aller geistigen Potenzen äussert sich auch in dem Verhältnisse der Industrie zur Wissenschaft. Durch diese in der wirksamsten Weise gefördert, wirkt die Industrie ihrerseits anregend auf die Forschung, beschafft sie dieser die Mittel schärferer Beobachtung, erleichtert sie Versuche und genauere Untersuchungsmethoden. Rastlos neue Probleme schaffend, begünstigt sie deren Verfolgung durch die Wissenschaft.
Unbefangene Beurtheilung der socialen Wirkungen der Grossindustrie zwingt, der oft beklagten Verdrängung des Kleinbetriebes und als Folgeerscheinung dessen, des Schwindens des gewerblichen Mittelstandes zu gedenken.
Es ist tröstlich, als Wahrnehmung verzeichnen zu können, dass sich dem bemerkten, durch die Grossindustrie geübten Aufsaugungsprocesse Momente entgegenstellen, die sich theils aus der Natur gewisser Gewerbe, theils aus äusseren, die Betriebsform beeinflussenden Verhältnissen ergeben. Es genügt, auf das Kunstgewerbe, auf das Gewerbe auf dem Lande und auf jenes zu verweisen, das auf Kleinbestellungen (Bestellungen nach Maass) und Reparaturen berechnet ist. Eine kräftige Schutzwehr ergibt sich ferner aus der Verbreitung von Arbeitsmaschinen und billiger motorischer Kraft, insbesondere aus der Vereinigung der Kleinmeister, da diese die Bedingungen des Grossbetriebes beschafft.
Was die erwähnte, mit Sorge erfüllende Erscheinung der veränderten Schichtung der Gesellschaft betrifft, wirken die Ergebnisse der diesen Gegenstand eingehendst vorfolgenden Forschung eines Mannes wie G. Schm oll er 2 ) beruhigend. Aus dem reichen, von ihm vorgeführten Ziffernmaterial in Deutschland ergibt sich die, in Berücksichtigung der Aehnlichkeit der Verhältnisse, auch auf uns anwendbare Folgerung, dass wohl die Zahl der Unternehmer abgenommen und jene der Abhängigen sehr zugenommen habe, dass aber, wenn wir die höheren Stellungen des Verwaltungspersonales, die Werkmeister und hoch bezahlten Arbeiter, die liberalen Berufe und die Zunahme der Landmeister mit in Rechnung ziehen, uns unverkennbar Tendenzen für Neubildungen eines Mittelstandes entgegentreten. In Berücksichtigung dessen, dass die mit der Umbildung der Technik und des Verkehres gegebene Betriebs- concentration — eine der Hauptursachen des Rückganges des alten gewerblichen Mittelstandes — für die Gesammtheit den grössten Fortschritt bedeutet, seien, bemerkt Schmoller, nur ungünstige Nebenerscheinungen, soweit Missbräuche, unehrliche Mittel, schrankenlos sich
r ) Die Bedeutung der Industrie für Oesterreich. Eine statistische Studie von A. G. Raunig. Wien 1897.
2 ) Was verstehen wir unter dem Mittelstände? Hat er im 19. Jahrhundert zu- oder abgenommen? Vortrag von G. Schmoller auf dem VIII. evangelisch-socialen Congresse in Leipzig 1897.
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